Dracula
Viele Ausgaben des Romans "Dracula" lassen in der deutschen Übersetzung zu wünschen übrig. Das ändert die neue Ausgabe von Andreas Nohl. Er bietet den vollständigen Text, versehen mit einem differenzierten Anmerkungsapparat. Und er hat den Stil des am Theater geschulten, nicht unbedingt romanerfahrenen Autors deutlich verbessert, der seinen berühmten Vampir ein allein aus Büchern (woraus sonst?) erlerntes Englisch sprechen lässt und dem Amsterdamer Vampirjäger Van Helsing eine merkwürdige englische Aussprache mit Migrationshintergrund anhängt, die Handlung flüssiger gemacht und dadurch das Erzähltempo angezogen. So wird dieser Vampir-Klassiker aus dem Geist des spätviktorianischen Schauerromans zu einer streckenweise neu erfahrbaren Lektüre. Der Leser kann sich mit der technisch hochgerüsteten britischen Funktionselite auf die Jagd nach dem blutdürstigen transsilvanischen Aristokraten begeben. Nohls Nachwort stellt auf diese Weise "Dracula" als "Ritterroman zu Zeiten des Hochimperialismus" vor, als Ausweitung der Kampfzone zwischen "Zivilisation und Barbarei, Glaube und Vernunft, Erlösung und Verdammung, Technologie und Magie". Der Vampir, bei seinem ersten Auftreten, ist "ein hochgewachsener alter Mann, glatt rasiert (mit Ausnahme eines langen weißen Schnurrbarts) und von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet - keine Spur von Farbe an ihm." Diese Farbe gibt ihm Nohls Übersetzung, die pointiert und flüssig geschrieben ist. - Empfehlenswert für alle Bestände.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Dracula
Bram Stoker
Steidl (2012)
590 S. : Ill.
fest geb.