Die Litanei von den Gottesgaben

Wie erzählt man ein Jahrhundert? Günter Grass hat es in anekdotischen Jahresringen gemacht, süffisant und selbstverliebt. Hätte er sich mal an seinem isländischen Kollegen Halldór Laxness (1902-1998) orientiert, auch der übrigens ein Nobelpreisträger. Die Litanei von den Gottesgaben 1972 erschien Laxness' "Die Litanei von den Gottesgaben", ein wunderbares Buch über Island und Europa, souverän erzählt und mit jener Liebe zum Land, die jedwede ironische Distanz einschließt. Am Anfang lernt der Erzähler, wir schreiben den Mai 1920, in Kopenhagen den genialen Spekulanten Bersi Hjalmarsson kennen. Er handelt mit Heringen, aber weniger als Geschäftsmann, vielmehr als Hasardeur und Dilettant. Der Erzähler, ein angehender Schriftsteller, lässt sich auf eine Freundschaft ein, um die Biographie von Hjalmarsson zu schreiben, aus der unter der Hand eine Geschichte Islands und des Fischfangs wird. Was dem Leser geboten wird, ist aber weit mehr: ein Perlenreigen verrückter Episoden. Es gibt eine Zeitung ohne Druckerpresse, für die der Erzähler Dispute über nicht haltende Hosenträger oder senkrecht fliegende Engel aufzeichnet. Politik, Geschlechterkampf, Alkoholprobleme mischen mit. Inserate werden mit "Gelobt sei Gott" unterzeichnet. Und die "Gottesgabe" ist natürlich der Hering, mit dem schlecht umzugehen, so wie es beim ungeschickten Lagern in schlechten Fässern in der Sonne geschieht, ein "gewissenloses Betragen und wider Gott" ist. Ein wahres Lesevergnügen, diese nordische Schildbürgergeschichte mit mindestens so vielen schönen Skurrilitäten wie in der "Blechtrommel". Für alle Bestände. (Übers.: Bruno Kress)

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Die Litanei von den Gottesgaben

Die Litanei von den Gottesgaben

Halldór Laxness
Steidl (2015)

174 S.
fest geb.

MedienNr.: 582494
ISBN 978-3-86930-945-3
9783869309453
ca. 18,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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