Polinas Tagebuch

1994, mit neun Jahren, beginnt die Autorin in Grosny, Tagebuch zu schreiben, und führt es fort bis 2002. Die zunächst einfachen Feststellungen und Erlebnisse weiten sich rasch - sie liest viel und vieles aus der umfangreichen Bibliothek ihres Großvaters Polinas Tagebuch - zu einem fesselnden, sprachlich faszinierenden Dokument. Sie erlebt die Schrecken und Grausamkeiten der beiden Tschetschenienkriege hautnah mit, wird wegen ihres Namens als Russenschwein - ihre Mutter ist Russin, ihr Vater, den sie nie gesehen hat, Tschetschene - von den Mitschülern und Lehrern gemobbt, sie sieht Verletzte, Tote und zerfetzte Körper, wird durch Granatsplitter verwundet und beschreibt das tägliche Bemühen um die notwendigen, kaum vorhandenen Lebensmittel und das Auseinanderbrechen einer multikulturellen Gesellschaft, die durch Krieg und Gewalt aufeinander gehetzt wird. Ihrem Tagebuch, das sie durch kleine Gedichte verschönt, vertraut sie auch ihre Träume, Ängste, Gefühle, ihre Hoffnung auf Frieden, ihren Streit mit der Mutter und ihre erste Liebe an. Es ist eine erschütternde Chronik, die trotz der fast unvorstellbaren Grausamkeiten und Erlebnisse Hass vermeidet und in dem nüchternen, sachlichen, bisweilen auch humorvollen Stil die Lektüre erträglich macht. Polinas Tagebuch ist eine weite Verbreitung zu wünschen.

Helmut Eggl

Helmut Eggl

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Polinas Tagebuch

Polinas Tagebuch

Polina Scherebzowa
Rowohlt Berlin (2015)

570, [16] S. : Ill. (z.T. farb.)
fest geb.

MedienNr.: 788688
ISBN 978-3-87134-799-3
9783871347993
ca. 22,95 € Preis ohne Gewähr
Systematik: Bi, Ge
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