Drach

Szczepan Twardochs neuen Roman in wenigen Worten inhaltlich zu beschreiben, hieße, ein Kunstwerk zu zerstören. Sicher, eine wichtige Figur des Romans ließe sich nennen: Josef Magnor, der im Ersten Weltkrieg das Töten lernt und auch danach nicht Drach davon loskommt. Eine andere Figur ist sein Urenkel Nikodem Gemander, der seine krebskranke Frau im Stich lässt und auch sonst einige schlechte Eigenschaften hat. Wie die beiden zusammenhängen, was sie eint und was sie trennt, ist nur eine von unzähligen Verbindungslinien, die in diesem Netz zu einem explosionsartig verwobenen Muster gesponnen werden. Twardoch beschreibt die Geschichte einer schlesischen Familie in einer Zeitspanne von knapp achthundert Jahren nicht nur chronologisch und biografisch, sondern wendet gleich mehrere literarische Kunstgriffe an. Ein ganz besonderer ist sicherlich, die allwissende Erde als Erzählerin auftreten zu lassen. Dass ihr Blick auf die Zeit und die Menschen, die in ihr leben, durchaus ein universeller ist, bekommt der Leser schnell zu spüren: "Aus dem Nirgendwo kommt Ihr auf die Welt. Es gibt Euch überhaupt nicht, und dann quillt aus dem in den Schoß des Frauenleibes gespritzten Samen etwas auf, das später Ihr werdet, und plötzlich seid Ihr schon und werdet mit jedem Augenblick mehr. So kam Josef auf die Welt ..." - ein urgewaltiger Satz, einer von vielen fein gedrechselten und doch verstörenden Sätzen in diesem ungewöhnlichen Buch. Jedes Kapitel spielt auf zahlreichen Zeitebenen, die oft in einem Satz hin und her wechseln. Die Leser/innen müssen Geduld, Konzentration und Mut zur Irritation mitbringen. Belohnt wird, wer durchhält, mit einem solitären Meisterwerk der Sprache, das genial gut übersetzt ist und einem unzählige kleine Bilder in den Kopf zaubert aus einer untergegangenen und doch lebendigen Welt. Wie das alles zusammenhängt, weiß oft nur die Erde allein. (Übers.: Olaf Kühl)

Michael Ziemons

Michael Ziemons

rezensiert für den Borromäusverein.

Drach

Drach

Szczepan Twardoch
Rowohlt Berlin (2016)

412 S.
fest geb.

MedienNr.: 585390
ISBN 978-3-87134-822-8
9783871348228
ca. 22,95 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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