Ballade vom Tag, der nicht vorüber ist

Als Karsten Leiser zehn Jahre alt ist, beschließen seine Eltern, die DDR zu verlassen. Die Flucht, genauestens geplant, ist als eine Urlaubsreise getarnt. Karsten, der davon nichts wissen darf, wird von seiner Mutter am Vorabend der Unternehmung seltsamerweise Ballade vom Tag, der nicht vorüber ist aufgefordert, sich alles im Ort noch einmal ganz genau anzuschauen, weil er es nicht wiedersehen wird. Die Großeltern bringen die beiden zum Abschied noch an den Bahnhof in Plothow, danach beginnt für den Jungen eine völlig neue Zeit. In der Schule ist er nun der, der aus der "Zone" kommt, die Mitschüler verachten, die Lehrer drangsalieren ihn, und alles, was für Karsten bisher von Bedeutung war, zählt nicht mehr. Ein Jahr später stirbt die Mutter an Krebs. Das Erleben von Heimatlosigkeit und Verlassenheit wird zum Trauma. Viele Jahre später, er ist inzwischen Reiseschriftsteller, erzählt er Vera, einer Freundin, von dieser Zeit: Von den glücklichen Jahren im Märkischen Land, von der für ihn damals nicht verstehbaren Flucht in den Westen, dem neuen Leben in der Nähe von Frankfurt und vom Tod der Mutter. Das Datum der Flucht, ein Tag im Mai, verfolgt ihn seither so sehr, dass es, egal wo er sich jeweils befindet, für ihn der Tag ist, der niemals vorüber sein wird. Leiser wird zum Einzelgänger. Frauenbekanntschaften wechseln, bleiben aber unerfüllt. Sein Unterwegssein, seine Artikel, Reportagen, Sendungen und Bücher befreien ihn nie von der Last der Vergangenheit. Während einer Irlandreise begegnet er einem ehemaligen Schulkameraden, was zu einer für beide Seiten dramatischen Auseinandersetzung führt. - Ein Roman, der sich intensiv mit dem Fremdsein, nicht nur im eigenen Land, auseinandersetzt. Loschütz gelingt es ein Stück deutscher Geschichte auf eine sehr persönliche und beeindruckende Weise nachvollziehbar zu machen. Empfehlenswert!

Josef Schnurrer

Josef Schnurrer

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Ballade vom Tag, der nicht vorüber ist

Ballade vom Tag, der nicht vorüber ist

Gert Loschütz
Schöffling & Co. (2022)

199 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 999922
ISBN 978-3-89561-158-2
9783895611582
ca. 22,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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