Der Bruder

Filip, ein nicht gerade erfolgreicher serbischer Schriftsteller, erhält eines Tages einen Brief. Er kommt so überraschend, dass Filip zunächst lange zögert, den Brief zu öffnen, bis er schließlich doch zu lesen beginnt. Geschrieben hat den Brief Der Bruder ein Mann, der sich als sein Bruder Robert ausgibt und heute in Argentinien lebt. Aber von der Existenz eines Bruders hat Filip bislang überhaupt nichts gewusst. Wenn es stimmt, dass er einen Bruder hat, dann muss er ja seine ganze Autobiografie ("Das Leben eines Verlierers") neu schreiben?! Durch diesen Brief gerät die gesamte Identität von Filip nach und nach ins Wanken. Im zweiten Teil des Buches treffen sich die beiden Brüder in einem ehemals heruntergekommenen Lokal in Belgrad, das heute zu einem Nobelrestaurant umgestaltet worden ist. Die Annäherung der beiden sich bislang unbekannten Brüder wird zu einem atemberaubenden literarischen Kammerstück, in dem zwei erwachsene Männer in allen denkbaren Gefühlsausbrüchen ihre Identität als Bruder des jeweils anderen entdecken. Und so wie die beiden Hauptfiguren schließlich nicht mehr wissen, wer sie eigentlich sind, verliert auch der Leser immer mehr alle Sicherheiten in seinem Urteil über das Bruderpaar. Ist es eine Parabel auf den Untergang des alten Jugoslawien, auf die Zerstörung alter Familienstrukturen, auf die Sinnlosigkeit künstlerischen Schaffens? Ganz am Ende dann ein Schlüsselsatz des ganzen Buches: "Hinter Wörtern kann man sich verstecken wie hinter einer spanischen Wand. Schweigt man hingegen, ist man ohne jeden Schutz." - Dass man David Albahari inzwischen zu den ganz großen zeitgenössischen Autoren Europas zählen muss, belegt auch dieser Roman erneut. (Übers.: Mirjana und Klaus Wittmann)

Carl Wilhelm Macke

Carl Wilhelm Macke

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Der Bruder

Der Bruder

David Albahari
Schöffling (2012)

169 S.
fest geb.

MedienNr.: 367932
ISBN 978-3-89561-425-5
9783895614255
ca. 19,95 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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