Verdorbene Buchstaben, heilige Schriften und letzte Worte
An Büchern und Schriften interessiert vor allem der Inhalt, der Geist, die Idee, die in ihnen steckt und weitergegeben wird. Der Graubündener Philologe und Essayist Iso Camartin weitet seine bibliophile Haltung auch auf das Materielle, die Schriftkultur als solche bis hin zu den einzelnen Buchstaben, den sinnenfälligen Zeichen und Symbolen aus. Dazu wählt er aus seiner reichen Privatsammlung von Figuren, Ikonen, Tuschgefäßen, Pergamentrollen oder auch Thora-Zeigern und Gebetsriemen, um nur einige zu nennen, 26 Beispiele aus, die mit Schrift, Bildung und Weisheit zu tun haben, um nachzuzeichnen, wie sich Geistiges (Glaubensinhalte, Ideen) im Materiellen niederschlägt, so dass überhaupt erst Vergangenes vergegenwärtigt und in die Zukunft tradiert werden kann. Das kann etwa die Holzfigur eines altägyptischen "Würfelhockers" sein, dessen Hieroglyphen für den Autor zwar nicht zu entziffern sind, was ihn aber nicht davon abhält, aus seinen durchaus passablen Kenntnissen ägyptischer Kunst zwei plausible Textübertragungen zu phantasieren, die das dunkle Geheimnis dieses Gegenstands in seinen kulturellen Horizont zurückstellen. So verlieren solche Objekte plötzlich den Charakter des völlig Fremden und Isolierten, selbst wenn sie dem hinduistischen, chinesischen oder jüdischen Kulturkreis angehören, und werden zu ansprechenden Ausdrucksformen der geistigen Entwicklung der einen Menschheit.
Richard Niedermeier
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Verdorbene Buchstaben, heilige Schriften und letzte Worte
Iso Camartin
Rüffer & Rub (2024)
342 Seiten : Illustrationen (farbig)
fest geb.