Fluchttunnel nach West-Berlin
Zwei junge Westdeutsche beschließen 1964, einen Tunnel unter der Mauer hindurch nach Ostberlin zu graben. Der eine - selbst aus dem Osten geflohen - möchte seine Schwester in den Westen holen, der andere hat sich in jene Schwester verliebt. Und da sie dieses Projekt nicht alleine stemmen können, sammeln sie mehrerer Helfer um sich, immer in Angst entdeckt oder bespitzelt zu werden. Wie in einem Film haben französische Comic Künstler dieses reale Stück deutscher Geschichte aufgearbeitet: im Westen bunte Einkaufsmeilen, im Osten triste Plattenbauten und verbitterte Menschen. Das lässt sich mit den zeichnerischen Mitteln besonders subtil darstellen. Die zwischenmenschlichen Konflikte werden ebenfalls zum Thema und machen aus dieser kleinen Geschichtsstunde ein spannendes Lese- und Sehabenteurer ohne hohen Anspruch. Die Spannung liegt sowohl in der Psychologie der Beteiligten als auch in der Frage, ob und wie das gefährliche Unternehmen gelingt. Es waren in der Tat 57 Menschen, die durch diesen Tunnel nach West-Berlin geschleust wurden und ein Ostdeutscher Grenzsoldat verlor dabei sein Leben. (Aber das wäre eine andere Geschichte, bei der die sozialistische Propaganda einen unrühmlichen Part übernehmen müsste). Gerade für Jugendliche, die die Zeit der deutschen Teilung nicht selbst erlebt haben, ist dieser Band eine nachdrückliche Empfehlung wert.
Lotte Schüler
rezensiert für den Borromäusverein.
Fluchttunnel nach West-Berlin
Geschichte: Olivier Jouvray. Zeichn.: Nicolas Brachet
Avant-Verl. (2014)
54 S. : überw. Ill. (farb.)
fest geb.