153 Formen des Nichtseins
Ksenia hadert mit ihren verschiedenen Identitäten. Als sie vier war, durfte ihre Familie nach Deutschland kommen. „Mein Bruder und ich wussten nicht, wer wir waren. Während sich unsere Eltern eindeutig als nach Deutschland gekommene Russen mit - der Legende nach - jüdischen Wurzeln bestimmen ließen, so waren mein Bruder und ich Russen, Deutsche, Juden, alles in einem, ohne dass es eine Bezeichnung dafür gab“, sagt Ksenia gleich zu Beginn. So balanciert sie zwischen verschiedenen Formen des Nichtseins. Noch in der Perestroika-Zeit waren ihre Eltern Zeugen Jehovas geworden. Ksenia leidet unter der rigorosen Erziehung und dem erzkonservativen Kleiderstil, der sie zur Außenseiterin macht. Sie beginnt mit achtzehn ein Slawistikstudium, wird Feministin, Geliebte, Mutter. Doch ihr Unbehagen wegen ihres "Nichtseins" bleibt bestehen. – Die Autorin Slata Roschal verwendet in ihrem Roman eine Collage an Textsorten, die Ksenias Zerrissenheit widerspiegeln: Tabellen, Psalmen, Einkaufslisten, Zitate aus russischen Internetseiten. Der Debütroman der deutschen, 1992 in Sankt Petersburg geborenen Lyrikerin und Literaturwissenschaftlerin hat es auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis 2022 geschafft. – Ein lesenswertes Debüt.
Karin Blank
rezensiert für den Borromäusverein.
153 Formen des Nichtseins
Slata Roschal
homunculus verlag (2022)
171 Seiten
fest geb.