Fusionskontrolle
Der kluge Hans Magnus Enzensberger hat einmal festgestellt, dass die Zahl der Produzenten von Lyrik die der Leser:innen bei Weitem übertrifft. Stimmt, möchte man sagen, wenn man den Band von Jan Imgrund, der Jurist ist und Autor, in die Hand nimmt
und sich beim Einlesen fragt, warum der Autor das, was er hier produziert, eigentlich „Gedichte“ nennt. Eine Grundkenntnis von Versbau und Rhythmus, Klanggefühl und rhetorisches Besteck wird man ihm zugestehen, doch all das hat keinen roten Faden. Munter wechseln sich Lang- und Kurzversgedichte ab, Fach- und Alltagssprache, Groß- und Kleinschreibung. Die Interpunktion ist willkürlich. Okay: poetische Freiheit, kann man sagen, aber auch die hätte einer gewissen Ordnung bedürft, jener Daten, die laut Paul Celan haltbaren Gedichten mitgegeben sind. Beim Lesen fragt man sich, was „oozen“ (‚schlammen‘) mit dem Gedicht macht, was aus einem Gedicht wird, das „Frownduktus“ oder „Assetklassen“ betitelt ist. Manchmal kommen nachdenkenswerte Texte heraus, wie bei dem „Erlebnisgeschenk“ oder dem „Erfinder der weichen Schulter“. Doch das geschieht prosaisch und quasi-juristisch (die „Fusionskontrolle“, ein Instrument aus dem Kartellrecht, um Geschäftsmonopole zu unterbinden, ist so etwas wie ein Bauprinzip des Bands). Gedichte, das ist einfach zu hochgegriffen für diese bestenfalls versifizierten Gedanken, die auch nicht gut lektoriert sind: das kalauernde Wortspiel „Verästelt endet so das Ja verätselt“ wird durch das fehlende „r“ in „verrätselt“ verhökert. „Danke, ausgezeichnet“: Dieser Gedichttitel ist wohl nur ironisch zu verstehen, immerhin mag das Ende tröstlich stimmen: „es gibt Gleichmut für alle, / man muss nur / jeden Tag / danach fragen“. Oder eben nicht. Enzensberger wusste, was er sagte, in seinem Band mit dem doppelbödigen Titel „Lyrik nervt“.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.

Fusionskontrolle
Jan Imgrund
Gans Verlag (2024)
Gegenwarten ; Band 17
109 Seiten : Illustration
fest geb.