Das Terrain
Viktor Sørless ist ein begabter Architekt. Die derzeitige Auftragslage ist allerdings mehr als überschaubar. Dass er sich auch und gerade für naturnahe Bauweise einsetzt, macht die Lage nicht besser. Trotzdem weigert er sich immer wieder, alltägliche Aufträge anzunehmen. Als er von einer immens reichen mexikanischen Kunstmäzenin unerwartet den Auftrag erhält, im Süden Mexikos einen Museumsbau zu planen, stimmt er sofort zu, zumal er als Baustoff Lehm zu verwenden hat. Bedenken seines Umfeldes, wie sich ein Lehmbau im feuchtwarmen Dschungel ausführen und dann auch erhalten lassen soll, ignoriert er letztlich. Er sieht sich imstande, das Baumaterial mittels neuartiger Techniken haltbar zu machen. Und ihn reizt auch die Möglichkeit, beim Bau ein harmonisches Verhältnis zwischen Kunst, Wissenschaft und Natur auszuloten. Das gewaltige Bauvorhaben, das fremde Land und die Unbeherrschbarkeit der Natur bringen Sørless aber bald an die Grenzen seiner Möglichkeiten, zumal er es auch mit politischer Gewalt zu tun bekommt. Bandenmäßige Hintergrundaktivitäten und eine leidenschaftliche Affäre tun ein Übriges, um sein Scheitern absehbar zu machen. Er erlebt in dieser Zeit aber eine Entwicklung, die aus dem abstrakt denkenden Misanthropen einen weltoffenen, emphatischen Menschen macht. - Der Autor lebt in Hamburg und Mexiko-Stadt, kennt also die Gegebenheiten in beiden Ländern. Die Geschichte ist allerdings so ungewöhnlich, dass sie sich Leser/-innen nicht so ohne weiteres erschließt. Einige Gewaltszenen und gelegentliche deftige Erotik sollen wohl die perversen Machtfantasien einiger Beteiligter, auch und gerade des Hauptakteurs, verdeutlichen. Trotz des bemerkenswert guten Stils und der guten Charakterisierung der Protagonisten kein Wohlfühlroman, aber das ist auch nicht beabsichtigt.
Erwin Wieser
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Das Terrain
Frank Steinhofer
Secession (2021)
239 Seiten
fest geb.