Eliete. Das normale Leben
Eliete, verheiratet mit Jorge und Mutter von zwei jugendlichen Töchtern, arbeitet in der Immobilienbranche, die im Lissabonner Vorort, im ehemals mondänen Badeort Cascais 2016 geradezu aufblüht. Eliete entstammt kleinbürgerlichen Verhältnissen, ihre Mutter war erst 16, als sie sie im Jahr der Nelkenrevolution, 1974, gebar, der Vater, der bereits 1978 starb, hatte die Jahre des Umbruchs von der Salazar-Diktatur in eine Demokratie engagiert mitgestaltet. Zusammen mit ihrer Mutter wohnte Eliete die ersten Jahre bei der Großmutter väterlicherseits. Der Roman beginnt mit Großmutters Sturz, einem ersten Zeichen für ihre Demenz. Dieser Vorfall leitet eine neue Phase für Eliete ein, wo sie ihr so banales Familien- und Berufsleben analysiert und feststellt, dass sie von jenen, die sie am meisten liebt, ständig übersehen und nicht verstanden wird. Andererseits wirft sie sich selbst vor, nie große Träume verfolgt zu haben. Es ist das normale Leben einer Frau, eingekerkert in ihren gewohnten Verhältnissen. Kurze sexuelle Begegnungen über eine DatingApp geben ihr zwar ein neues Körpergefühl und ein Stück Selbstachtung zurück, doch ihre familiären Beziehungen bessern sich dadurch nicht, sie vermisst Aufmerksamkeit, Anerkennung, Liebe. Zugleich und eher subtil wird ein Familiengeheimnis gelüftet, das aus einem normalen Einzelschicksal ein Stück portugiesische Zeitgeschichte macht. Mag Eliete ein Kind der Revolution sein, mag das reale Leben noch so vom digitalen Leben bestimmt sein, mögen Orte und Landschaften von europäischen Geldern noch so drastisch verändert worden sein, letztlich holt die Vergangenheit die persönliche Geschichte ein. In diesem Sinn erlangt dieser sehr empfehlenswerte Roman eine umfassendere Dimension: eine Allegorie eines modernen europäischen Landes, verhaftet weiterhin einer längst vergangenen Epoche. Gute Übersetzung, dankbarerweise versehen mit einigen hilfreichen Anmerkungen.
Luísa Costa Hölzl
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Eliete. Das normale Leben
Dulce Maria Cardosa ; aus dem Portugiesischen übersetzt von Steven Uhly
Secession Verlag (2023)
269 Seiten
fest geb.