Die Freiheit einer Frau
Der französische Autor Èdouard Louis beschreibt das von Demütigungen, Armut und männlicher Gewalt geprägte Leben seiner Mutter. Er betrachtet ein Foto von ihr (das auch auf dem Titel abgebildet ist) und schreibt: „Ich glaube, ich hatte vergessen, dass sie vor meiner Geburt frei war - glücklich?“. Zu dieser Zeit hatte sie bereits zwei Kinder und einen Alkoholiker als Mann, der sie betrog. Mit 23 Jahren zog sie zu ihrer Schwester, lernte bald darauf Édouards Vater kennen - und kommt vom Regen in die Traufe. Auch er verfällt dem Alkohol. Mehr als 20 Jahre bliebt sie bei ihm und hat ihre Träume nicht verwirklicht. - Èdouard Louis fühlt sich seiner Mutter besonders nahe. Er schreibt, er passe mit seinem „effeminierten Gebaren“ (S. 29) nicht in die Kumpelwelt der Väter und ihrer Söhne. Mit seinem Buch will er das Leben seiner Mutter verstehen und die Wirklichkeit erklären. Louis‘ Hommage an seine Mutter ist geprägt von seiner Scham darüber, dass auch er Teil ihrer Zerstörung gewesen sein könnte. Ein Lichtblick erscheint im letzten Teil des schmalen Bandes mit dem Anruf, dass sie es getan hat: ihren Mann vor die Tür gesetzt.
Karin Blank
rezensiert für den Borromäusverein.
Die Freiheit einer Frau
Édouard Louis , aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
S. Fischer (2021)
92 Seiten : Illustrationen
fest geb.