Tal der Herrlichkeiten
Den Protagonisten, Sperber genannt, hat das Leben längst aus allen Zusammenhängen bürgerlicher Existenz geworfen. Er versucht in Alltagsbegegnungen mit den Menschen seines Küstenorts in der Normandie und auf langen Spaziergängen am Meer, kleine Zipfel von Lebensfreude zu erhaschen, die ihn weitertragen. Dabei trifft er auf eine Fremde, auffällig durch ihre blonde, völlig altmodisch frisierte Haartracht, einen blonden Engel gewissermaßen, die ihn aus heiterem Himmel küsst. Nach einigen Umwegen finden Sperber und die Unbekannte, Luchs genannt, in Paris zueinander. Miteinander erleben sie Erfüllung auf menschlicher und erotischer Ebene. Als Luchs tödlich verunglückt, weigert sich Sperber, den Einfluss der lebensfeindlichen Kräfte in seinem Leben wieder zu akzeptieren und möchte die Geliebte dem Totenreich entreißen. - Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Übersetzerin in Paris. Zu Recht traut sie ihrer Imaginations- und Sprachkraft in diesem Roman zu, sich auf einer Ebene zu bewegen, die sich immer wieder von der Lebensrealität löst und die Randbereiche der Existenz auslotet. Anne Weber spielt mit dem alten Motiv von Eros und Thanatos und meistert ihre Schilderungen im Grenzbereich des Lebens sprachlich bravourös. Sie wagt, auch Anklänge von Pathos zuzulassen, die sie ungekünstelt und kitschfrei gestalten kann. Ihre Naturschilderungen, häufig mit symbolischer Verwendung von Vogelgestalten bereiten großes Lesevergnügen. Ein poetisches, zwischen Realität und übersinnlicher Wahrnehmung schwebendes Buch über die Liebe, die Liebe zum Leben und die Berührungsgrenze zum Tod. Empfehlenswert für Leser, die besondere Geschichten schätzen.
Gabie Hafner
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Tal der Herrlichkeiten
Anne Weber
S. Fischer (2012)
252 S.
fest geb.