Der Aufgang

Als junger Mann erwirbt der Autor in Gent eine heruntergekommene Villa, nicht ahnend, wer vor ihm dort einmal gewohnt hat. Jahre später erfährt er durch seinen Geschichtsprofessor Adrian Verhulst, dass dessen Vater mit seiner Familie dort lange Zeit Der Aufgang gelebt hatte. Willem Verhulst war ein flämischer SS-Mann, der als Spion des NS-Regimes viele Juden und andere politisch missliebige Landsleute auf Listen setzte, die für diese den sicheren Tod bedeuteten, obwohl er selbst in erster Ehe mit einer Jüdin verheiratet gewesen war. Willem Verhulst wurde 1945 als Kriegsverbrecher verurteilt, aber früh begnadigt und lebte bis 1975 unbehelligt in Antwerpen mit seiner früheren Geliebten und späteren Ehefrau Griet. Sie war ebenso wie er eine radikale Flandern-Aktivistin. - Vier Jahre hat Hertmans zum Thema recherchiert. Das Ergebnis ist eine Mischung aus historischem Sachbuch und Roman; mit fiktionalen Dialogen und Szenen lässt der Autor den Werdegang des Einzelgängers Verhulst lebendig werden. Mal berichtet er nüchtern chronologisch, mal atmosphärisch dicht erzählend, mal zitiert er aus Akten und Tagebüchern. Dieser stilistische Wechsel erhält die Spannung und unterscheidet den Roman von der reinen historischen Darstellung; er lässt sich weitaus flüssiger lesen, auch weil das persönliche Moment nicht ausgeklammert ist. Die bedrohlichen und bedrückenden Jahre unter den Nazi-Besatzern werden so fassbar genauso wie der schwelende flämisch-wallonische Konflikt des seinerzeit in sich zerrissenen Belgien.

Pauline Lindner

Pauline Lindner

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Der Aufgang

Der Aufgang

Stefan Hertmans ; aus dem Niederländischen von Ira Wilhelm
Diogenes (2022)

471 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 608315
ISBN 978-3-257-07188-7
9783257071887
ca. 26,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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