Heimliche Reisen

Helga Schütz, die zu den etablierten Autorinnen der DDR zählte, später an der Film- und Fernsehhochschule in Potsdam Professorin war, hat mit "Heimliche Reisen" ein wahrlich schönes Erinnerungsbuch geschrieben. Schön an ihren Erzählungen ist, Heimliche Reisen dass sie ganz unprätentiös den Wegen des Schicksals folgen, das sie aus Schlesien über Dresden und ein Grenzgebietshaus nach Berlin geführt hat. Hier wurzelt ihr Erzählen. Es ist bodenständig und geradlinig, kurzgeschichtenhaft pointiert, nie um Selbstkritik verlegen: da beschleicht sie einmal ein schlechtes Gewissen, weil sie einer jüdischen Professorin Christstollen in die USA geschickt hat, da kommt sie ein andermal über den Kriegs- und Flüchtlingserinnerungen eines jetzt mitte-neunzigjährigen Ehepaars in Schmargendorf ins Grübeln. Gerahmt wird das Buch von zwei S-Bahn-Geschichten, die 30 Jahre auseinanderliegen. Die erste spielt im ersten Nachwendefrühling und handelt von einem 9-jährigen Jungen, der offensichtlich aus dem Waisenhaus ausgerissen ist und den die Erzählerin am Alexanderplatz aus den Augen verliert. In der zweiten Story wird ein ebenso alter Junge vor dem Bahnhof Zoo als Dieb verhaftet. Neugier, Misstrauen und Zuversicht gehen in diesen Erinnerungen eine leichthändige Allianz ein. Helga Schütz erzählt von Heimat in der Erinnerung, leise, gewitzt und überaus lesenswert.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Heimliche Reisen

Heimliche Reisen

Helga Schütz
aufbau (2021)

376 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 606163
ISBN 978-3-351-03892-2
9783351038922
ca. 24,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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