Alltag im Ausnahmezustand
Dieses Buch des Leiters des ARD-Studios in Tel Aviv legt man nicht mehr aus der Hand, weil es die aktuelle Situation dieses Ausnahmestaates in griffigen Bildern analysiert und packend darstellt. Er sieht die Israelis geprägt vom Trauma der Shoa, den
Nahostkriegen, aber auch durch ihre Überheblichkeit, die aus den erstaunlichen Leistungen erwächst, einen Staat in widrigster Umgebung geschaffen zu haben und bei vielen modernen Techniken, bei IT und in der Elektronik zur Weltspitze zu gehören. Die Spannungen zwischen dem säkularen Tel Aviv und dem orthodoxen Jerusalem, zwischen den Juden aus Europa und denen aus dem Nahen Osten und die schwierige Integration von Juden aus Afrika werden mit der Feder eines Journalisten anschaulich vorgestellt. Das Vordringen politisch eher rechter Einstellungen verfolgt der liberal-demokratische Autor mit Sorge, wenn er sich mit der Siedlerbewegung und dem Ministerpräsidenten Netanyahu beschäftigt. Die Unversöhnlichkeit zwischen Israelis und Arabern und Iranern und ihr tiefsitzender Hass sind für europäische Leser kaum vorstellbar. Die aktuell sehr bedrohliche Lage Israels wird ausführlich, sogar mit militärischen Szenarien geschildert. Bei allen Themen kommt auch die Gegenseite zu Wort. Europa, das Schneider als seine kulturelle Heimat liebt, bezeichnet er als einen Kontinent, der Mühe hat, mit der Moderne Schritt zu halten. Dieser erscheint ihm zugleich als antisemitischer Kontinent. - Informativ, aktuell, spannend geschrieben: breite Empfehlung.
Bernhard Grabmeyer
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Alltag im Ausnahmezustand
Richard C. Schneider
Dt. Verl.-Anst. (2018)
293 S.
fest geb.