Genie und Gendarm
Der Autor Erich Garhammer hatte als Student Josef Ratzinger in Vorlesungen persönlich kennengelernt. Damals sei er von der Genialität seines Professors und des späteren Papst Benedikt XVI. begeistert gewesen. Später jedoch wandelt sich diese Wahrnehmung, insbesondere dessen Auslegung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) scheint Garhammer, emeritierter Professor für Pastoraltheologie der Universität Würzburg, überrascht zu haben. Ratzinger, der anfangs zu den Vordenkern gehört habe, sei schnell nach dem Konzil zu einem Kritiker dessen geworden. Ratzinger selbst stellte in seiner Auslegung des Konzils die Hermeneutik der Reform und die Hermeneutik des Bruchs gegenüber. Verkürzt gehe es hierbei um die Frage, ob das Zweite Vatikanische Konzil einen Bruch in der kirchlichen Tradition darstelle oder ob es unter Wahrung der Kontinuität eine Reform gewesen sei. Die Theologie Ratzingers und das Wirken als Benedikt XVI. zielten auf die Deutung des Konzils als Reform und dem Bewahren vorkonziliarer Traditionen ab. Ursache für diese Haltung sei der Tod seiner Eltern gewesen. Diese hatten sich im vorkonziliaren Glauben geborgen gefühlt und konnten in dieser Kirche Sicherheit und Schutz finden. So schreibt Garhammer: "Richtiger Glaube garantiert die Kontinuität der Kirche - das war er seinen Eltern schuldig" (S. 47). Die Ausführungen des Autors auf knapp 120 Seiten lesen sich wie ein Kommentar zum Wirken von Josef Ratzinger als Theologe und späterer Papst Benedikt XVI. Die in Teilen kritische Haltung des Autors tritt dabei schnell zu Tage. Ob der beschriebene Wandel vom Reformer zum Bewahrer aufgrund nur einer einzigen biografischen Erfahrung stattfand, sei dahingestellt. Der schmale Band erhebt eben nicht den Anspruch, eine vollständige Biografie zu sein, sondern versucht eine Einordnung Papst Benedikts XVI. anhand des Umgangs mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Für den Lesenden kann die Lektüre vor dem Hintergrund der Weltsynode durchaus gewinnbringend sein, deren Ergebnisse richtungsweisend für die Reformfähigkeit der Kirche sein könnten.
Sebastian Heuft
rezensiert für den Borromäusverein.
Genie und Gendarm
Erich Garhammer
echter (2023)
134 Seiten
fest geb.