Eistau
Zeno ist Glaziologe, seine ganze Leidenschaft gehört den Alpengletschern. Er erlebt das Sterben der Gletscher dort aus nächster Nähe und leidet daran, dass der Klimawandel unaufhaltbar scheint und die Menschen, weil sie auf die "schweinehündische Stimme der Bequemlichkeit hören", nicht ruhen werden, "bis sie alles verbraucht verdreckt verschwendet vernichtet haben". Für Zeno sind die kümmerlichen Eisreste zu einem Spiegel unser aller grober Fahrlässigkeit geworden. Er fühlt sich zunehmend überflüssig, und als er das Angebot bekommt, auf einem Kreuzfahrtschiff in die Antarktis als Experte mitzufahren, nimmt er an und erläutert nun den Touristen die Schönheit und Formenvielfalt des Eises, erklärt seine Entstehung, aber auch seine Verletzlichkeit. Die Antarktis scheint ein letzter geschützter Ort, aber auch er ist bedroht von der Gedankenlosigkeit der Menschen. Zenos Leidenschaft wird zur Besessenheit und nimmt zwanghafte Züge an, die ihn letztlich dazu bringen, das Schiff zu kapern. - Zeno berichtet in der Ich-Form über seine Zeit an Bord. In langen, quasi von selbst laufenden, mühelosen Sätzen erzählt er über die Begegnungen mit den Besatzungsmitgliedern und den Touristen, streut Rückblicke ein und Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend, seine Zeit als Forscher und an seine erste Ehe. Die Sprache ist gekennzeichnet von treffenden Formulierungen und neu gefundenen, schönen, eigenwilligen, sprachlich aber sehr griffigen und im Zusammenhang aussagekräftigen Wortschöpfungen, wie etwa leidmütig, wortfasten, emseln. Dieses Spiel mit der Sprache gelingt durchgehend und ist überaus überzeugend. Über die Figur des Protagonisten gelingt dem Autor zudem insgesamt eine beeindruckende Kritik an der Ruhelosigkeit, Respektlosigkeit, Gier und allgemeinen Rücksichtslosigkeit der die Natur zerstörenden Menschheit. Lektüre mit hohem literarischem Anspruch.
Eistau
Ilija Trojanow
Hanser (2011)
171 S.
fest geb.