Das schweigende Kind
Andreas, ein Kunstmaler, zeichnet auf Anraten seines Psychiaters seine Erinnerungen in Form eines Briefes an seine Tochter auf, die er nicht mehr gesehen hat, seit sie ein Kleinkind war. Er hat während seines Studiums in Paris ihre Mutter als Aktmodell
kennengelernt. Ihre Liebesbeziehung war von Gewalt geprägt: Sie braucht heftige Schmerzen, um fühlen zu können, und er empfindet Lust dabei. Das Kind, von beiden gewünscht, ist stumm. Der Vater ist glücklich mit ihm und erfindet eine eigene Sprache, um mit ihm zu kommunizieren. Als die Beziehung kriselt, versucht er, das Kind auf seine Seite zu ziehen, ebenso wie die Mutter es tut. Kaum ist es neun Monate alt, entzieht die Mutter es dem Vater, besteht auf Trennung und seltenen Besuchszeiten. Es zerreißt ihn, Vater sein zu wollen und nicht zu dürfen. Eine spätere Beziehung zu einer jungen Asiatin scheitert, weil er sich nicht lösen kann von seiner Tochter und ihrer Mutter. In seiner Verzweiflung glaubt er, an ihrem gewaltsamen Tod schuldig zu sein. Er legt vor Gericht ein Geständnis ab, das Verfahren wird mangels Beweisen jedoch eingestellt, aber jeder Zugang zu seiner Tochter wird untersagt. Er bricht zusammen und endet in einer psychiatrischen Klinik. Eine sehr detaillierte Analyse einer sexuellen Abhängigkeit und Vater-Obsession. Anspruchsvollen, psychologisch interessierten Lesern empfohlen.
Ileana Beckmann
rezensiert für den Borromäusverein.

Das schweigende Kind
Raoul Schrott
Hanser (2012)
198 S.
fest geb.