Auf See
Seit zehn Jahren lebt die 17-jährige Yala in der „Seestatt“, einer künstlichen Insel in der Ostsee. Ihr Vater hat damals mit Gleichgesinnten das deutsche Festland verlassen, um Klima- und Umweltkatastrophen zu entfliehen. Yala hat einen genauen
Tagesplan, mit Unterricht, körperlichen Ertüchtigungen und festgelegten Mahlzeiten. Sie bekommt spezielle Medikamente, die ihre Gesundheit garantieren sollen. Ihre psychisch kranke Mutter ist angeblich vor Jahren gestorben. Yala ist das einzige Kind in der Seestatt. Als sie eines morgens mit diversen Verletzungen aufwacht, macht sie sich heimlich auf die Suche nach den Aufzeichnungen der Überwachungskameras. Parallel dazu wird die Geschichte von Helena, einer Influencerin aus Berlin erzählt. Nach zwölf Prophezeiungen wird sie als Sektenführerin verehrt. Seitdem ist sie auf der Flucht und versucht, ihre Sinnsuche in Drogen und Alkohol zu ertränken. - Die junge Autorin Enzensberger beschreibt in ihrem zweiten Buch ein Endzeitszenario. In ihrem utopischen Coming-of-Age-Roman entlarvt eine junge Frau die kapitalistische Vision eines von Männern erdachten, gerechten und gesunden Staatensystems. Im „Archiv“ der Künstlerin Helena stellt sie unterschiedliche Versuche vor, einen Staat abseits der Zivilisation zu gründen. Diese Texte mit Sachbuchcharakter unterbrechen immer wieder den Spannungsaufbau des Buches. Am desillusionierenden Ende wohnen die Figuren des Romans in selbstgebauten Hütten im Berliner Tiergarten und warten auf die Räumung. Hoffnung gibt der Zusammenhalt einer wirklichen oder gewählten „Familie“.
Susanne Emschermann
rezensiert für den Borromäusverein.

Auf See
Theresia Enzensberger
Hanser (2022)
262 Seiten
fest geb.