Die Tanzenden
Paris, 1885. Alljährlich findet in der Nervenheilanstalt Salpêtrière ein Ball zur Halbzeit der Fastenzeit, dem Mittfasten, statt. Die Pariser Gesellschaft erwartet voll Spannung dieses skurrile Ereignis, den Ball der Verrückten - so auch der ursprüngliche französische Titel. Die Patientinnen, die dort auftreten, sind zum Teil geisteskrank oder wurden von männlichen Verwandten dorthin gebracht, weil sie als aufsässig oder hysterisch gelten und man(n) sich ihrer auf diese Weise lebenslänglich entledigen konnte. So begegnen sich Geneviève, die Oberaufseherin, und Eugénie, eine Tochter aus gutem Hause, die glaubt ihren verstorbenen Großvater zu sehen und deshalb von ihrem Vater und Bruder in die Salpêtrière gebracht wird. Da gibt es noch Louise, die regelmäßig als Studienobjekt den Medizinstudenten vorgeführt wird, sich aber nur durch Geneviève leiten lässt. Die Grenze zwischen verrückt und hysterisch, aufsässig und lebensmutig verschwimmt und das Leben der drei Frauen ändert sich nach dem Ball. Ein einfühlsam erzähltes, gelungenes Debüt, das auch einen Blick auf die Entwicklung der Behandlung psychischer Erkrankungen wirft. Vermutlich eher ein Roman für Frauen.
Ruth Titz-Weider
rezensiert für den Borromäusverein.
Die Tanzenden
Victoria Mas ; aus dem Französischen von Julia Schoch
Piper (2020)
234 Seiten
fest geb.