Tschick
Die besten Abenteuergeschichten sind Ausreißergeschichten. Tom Sawyer und Holden Cowfield verlassen ihr Zuhause, um erwachsen zu werden, Risiken und Nebenwirkungen inklusive. Auch Wolfgang Herrndorfs Held Maik Klingenberg, Gymnasiast, Berliner, vierzehn Jahre, ist auf dem Sprung, weil er weder im familiären noch im schulischen Netzwerk Halt findet. Die Mutter soll auf einer "Schönheitsfarm" von ihrer Alkoholabhängigkeit geheilt werden, der Vater geht mit seiner jungen Assistentin auf "Geschäftsreise". Maik, den seine Mitschüler für einen Langeweiler und Feigling halten, durchschaut die Erwachsenenlügen. Sein Weggefährte zur Wahrheit heißt Tschick, mit richtigem Namen Andrej Tschischaroff, ein Russlanddeutscher aus Rostow, dessen Familie durch Osteuropa verstreut ist, und nicht gerade das Musterbeispiel für gelungene Integration. Mit einem geklauten Lada beginnt die Ausreißertour Richtung Walachei, die Stationen sind Müllkippen, freundliche Großfamilien, ein schießwütiger Rentner, eine schwergewichtige Sprachtherapeutin, alles übrigens in Deutschland. Das Ende ist hart und rau, aber auch wiederum humorvoll genug, um diese Geschichte vom Ausleben und Aufbrechen der Jugend mit etwas Hoffnung enden zu lassen. Wie, das sollte der Leser nach einer höchst vergnüglichen Lektüre selbst erfahren. Das Rezept dafür aber bedarf keiner Geheimhaltung: Herrndorf versteht es, die schnoddrige Jugendsprache ohne Peinlichkeiten und Anbiederung punktgenau, glaubwürdig, faszinierend vor allem in den Dialogen zu treffen. Ein wunderbares, ein anrührendes Buch!
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Tschick
Wolfgang Herrndorf
Rowohlt-Taschenbuch-Verl. (2012)
rororo ; 25635
253 S.
kt.