Das Kleid meiner Mutter

Ein wahres Lesevergnügen, lässt man sich einmal darauf ein: Anna Katharina Hahn lässt ihrer Erzählfreude freien Lauf und erfindet ihre junge Hauptfigur mitten in die von der Eurokrise erschütterte spanische Hauptstadt hinein. Ana María, genannt Das Kleid meiner Mutter Anita, ist Teil der "generacion cero", arbeitslos, abhängig von den Eltern. Sie plagt sich mit ihrer Schildkröte Achilles bei 40 Grad in Madrid ab und tauscht Geschichten mit ihrer Whatsapp-Gruppe "La Plaga" aus, die in die kühlere Provinz abgezogen ist. Eines Vormittags findet sie ihre Eltern tot im Bett. Sie schlüpft in die Kleider ihrer Mutter (und ihres Bruders). Ein munteres Identitätswechselspiel beginnt, Anita trifft den Liebhaber der (toten?) Mutter, der sich wiederum als verschollener Dichter namens Gert De Ruit entpuppt, über den der Vater Rezensionen verfasst hat. Was man glauben kann und was nicht, darauf kommt es gar nicht an. Gerne folgt man Hahns Erzählerin durch die leichtfüßigen Eskapaden und schmunzelt, wenn Anita sich De Ruits Geschichte von der Tagung der Gruppe 47 hingibt, bei der es zu einer Prügelei mit Böll gekommen sei, weil er, De Ruit, Ingrid Bachmann einen Korb gegeben habe: "Er soll zu ihr gesagt haben, er schlafe nur mit Frauen, die ein Talent zum Schreiben haben". Ein bolañesker Schelmenroman, ausschweifend, findig, witzig, allen Beständen empfohlen.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Das Kleid meiner Mutter

Das Kleid meiner Mutter

Anna Katharina Hahn
Suhrkamp (2016)

310 S.
fest geb.

MedienNr.: 585420
ISBN 978-3-518-42516-9
9783518425169
ca. 21,95 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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