Zeit der Wildschweine

Die Schweine kommen in der Dämmerung und bewegen sich vom Wald über die Felder in Richtung menschlicher Behausung. Ihre Zeit ist die Zeit zwischen Tag und Nacht, eine Zwischenzeit, ebenso wie der Raum, in dem sie sich bewegen, der Bereich zwischen Zeit der Wildschweine Natur und Zivilisation. Sie sind eine diffuse Bedrohung für die Anwohner. Eltern versuchen, ihre Kinder vor ihnen zu schützen, Jäger gehen bewaffnet auf sie los. - Diese ambivalente Metapher, die Kai Wieland für den Titel seines zweiten Romans verwendet, steht nicht zuletzt auch für die Entwicklung des Protagonisten Leon, der als Verfasser von Reiseführern ein nomadisches Leben führt, das aus den Fugen gerät, als er im Auftrag seines Verlages nach Nordfrankreich fährt, um an der Küste des Ärmelkanals "lost places" zu entdecken. Was er findet, ist der Einbruch des Zweiten Weltkriegs in die Gegenwart. Seine Führerin ist die Surferin Zohra, eine mythische Nixenfigur, die die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit unmerklich verwischt. Schließlich flüchtet Leon vor ihr, wird in seinem Elternhaus sesshaft und fügt sich in ein Familienleben, das er bisher vermieden hat. - Empfehlenswert für alle, die bereits die Themen von Kai Wielands erstem Roman "Amerika" (BP/mp 19/174) zu schätzen wussten und sich für das komplizierte Wechselverhältnis von Wirklichkeit und Fiktion interessieren, ohne dabei auf einfache Antworten zu setzen.

Antonie Magen

Antonie Magen

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Zeit der Wildschweine

Zeit der Wildschweine

Kai Wieland
Klett-Cotta (2020)

269 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 601092
ISBN 978-3-608-98225-1
9783608982251
ca. 20,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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