Kleine Wunder um Mitternacht

Im Zentrum der sehr berührenden Geschichte steht ein kleiner verlassener Gemischtwarenladen. Der ehemalige Inhaber Namya hatte vor mehr als 30 Jahren neben seinen Verkaufsartikeln auch einen Kummerkasten angeboten. Selbst nach der Schließung des Kleine Wunder um Mitternacht Geschäftes werden noch immer Briefe eingeworfen. Dies geschieht auch, als sich drei jugendliche Einbrecher den Laden als nächtlichen Unterschlupf aussuchen. Plötzlich trifft ein Schreiben einer verzweifelten jungen Frau ein. Ziemlich ratlos lesen sie es durch, unschlüssig, wie sie darauf reagieren sollen. Als sie auf einen alten Zeitungsartikel stoßen, in dem über Herrn Namya und seine nützlichen Ratschläge berichtet wird, beschließen sie, der Hilfe suchenden Frau zu antworten. Als weitere Briefe von anderen Absendern eintreffen, verfahren sie ebenso. Damit beginnt eine Korrespondenz zwischen Gegenwart und Vergangenheit mit teils provokativen, fast herzlosen Empfehlungen, aber auch mit gefühlvollen und gut gemeinten. Die zwei unterschiedlichen zeitlichen Ebenen sorgen mitunter für eine gewisse Komik. Die Briefschreiberinnen wenden sich nicht nur mit ihren Anliegen an den vermeintlichen Herrn Namya, sie geben zugleich Einblick in die noch vorherrschenden Traditionen der japanischen Gesellschaft in den 70er und 80er Jahren. Das Gangster-Trio bezieht sich bei seinen Ratschlägen auf die digitale Welt von heute (die bei den Hilfesuchenden auf Unverständnis stößt) und natürlich auch auf ihre Kenntnisse von den Ereignissen der letzten 30 Jahre. - Sehr einfühlsam erzählt der Autor von den kleinen Wundern, die sich innerhalb einer Nacht an einem magischen Ort zutragen. Dabei wird nicht nur den Ratsuchenden auf irgendeine Weise geholfen, sondern auch die Kleinkriminellen erfahren eine Aufwertung ihrer Person. Erstmals werden sie nach ihrer Meinung gefragt und diese wird ernst genommen. - Allen, die Freude an einem modernen Märchen mit durchaus ernstem und sozialkritischem Hintergrund haben, ist die Lektüre sehr zu empfehlen.

Edith Schipper

Edith Schipper

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Kleine Wunder um Mitternacht

Kleine Wunder um Mitternacht

Keigo Higashino ; Deutsch von Astrid Finke
Limes (2021)

413 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 972649
ISBN 978-3-8090-2710-2
9783809027102
ca. 20,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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