Nicht aus der Welt

Welche Rettung gibt es für die ewig Unzufriedenen, Erschöpften, Überforderten? Anne Köhlers Roman hat eine merkwürdige Idee parat. Der Architekt Valentin hat ein Hotel, eine abgeschottete Wellnessoase mitten in Berlin entworfen, eine völlig aus Nicht aus der Welt der Welt gefallene Zuflucht für gestrandete Existenzen. Mit einem Team rekrutiert er seine Gäste aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft: eine Medienprofessorin, die unter Regretting Motherhood und Kindestötungsfantasien leidet, einen Bummelstudenten, der seiner Freundin leichtsinnig den New York-Marathon mitzulaufen verspricht, eine suizidgefährdete Börsenmaklerin mit Burnout. Es geht im Verlaufe der Handlung weniger um das rätselhafte Hotel, sondern um die Konstellation der jeweils persönlichen Probleme in der Ausgangs- und Therapiesituation. Und das ist schade für den Roman. Denn was sich zu einer spannenden Ausbruchs- und Aussteigerstory hätte entwickeln können, wird hier zum psychologischen Labor. Backstories werden erzählt, Neurosen interpretiert, Perspektiven auf Probleme hin- und hergewechselt, jede der Hotelinsassen bekommt sein oder ihr Fett weg, und selbst der Architekt ist ein offenbar unheilbarer Hypochonder. So verschenkt der Roman sein Erzählpotenzial, es bleiben einige heitere Szenen wie die Flucht aus dem Hotel und die Zuflucht im Haus der Mutter des Bummelstudenten, der den hochnotpeinlichen Namen Bing Hempel trägt: eine von den Unwahrscheinlichkeiten des Romans, der zu unentschlossen ist und die Erzählfreude hinter Problembewusstsein versteckt.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Nicht aus der Welt

Nicht aus der Welt

Anne Köhler
DuMont (2022)

344 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 611631
ISBN 978-3-8321-8004-1
9783832180041
ca. 24,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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