Vater unser
Die Mahnung Jesu, beim Beten nicht zu plappern wie die Heiden, betrifft heute eigentlich auch das Vaterunser selbst, das uns - bis zur Gedankenlosigkeit - nur allzu geläufig geworden ist, obwohl es doch eigentlich von Jesus als ein Muster richtigen und überlegten Betens gedacht war. Diese ursprüngliche Kraft des Vaterunsers zurückzugewinnen, ist das Anliegen, das Kardinal Kasper in seiner Betrachtung verfolgt. Dabei orientiert sich der Kardinal an drei Punkten: an der wohl älteren Überlieferung des Gebetes durch Matthäus, an der Überlieferungsgeschichte, die mit der Kurzfassung bei Lukas und einem frühchristliche Text einsetzt, und schließlich an den Bedürfnissen des heutigen Beters, der Transformation in unsere Zeit also. Beispielhaft zeigt sich dieser Ansatz bereits am Wort "Vater": Dem heute schwächer gewordenen Vaterbild setzt Kasper ein geradezu revolutionäres Verständnis vom Vatersein Gottes entgegen, das die ganze Schöpfung und in einmaliger Weise auch die Person Christi umgreift und so nicht nur die Basis für eine ganz neue Beziehung zwischen Mensch und Gott abgibt, sondern auch zwischenmenschliche Verhältnisse in Kirche und Gesellschaft zu erneuern vermag. So ist dieses Buch eine echte Hilfe, das Vaterunser (alleine oder in Gemeinschaft) zu beten oder auch zu meditieren.
Richard Niedermeier
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Vater unser
Walter Kasper
Patmos (2019)
127 S.
fest geb.