Der Duft der Kiefern
Mit den meisten ihrer Familienmitglieder ist Bianca eng verbunden. Umso verstörender ist für sie der Verdacht, dass Großeltern, Onkel und Tanten in der Zeit des Nationalsozialismus eine eher unrühmliche Rolle gespielt haben. Als sie erfährt, dass im Haus ihrer Großeltern in Berlin früher Juden gewohnt haben, die 1939 deportiert wurden, begibt sie sich auf eine Spurensuche, die sie über Berlin hinaus bis nach Riga und Tel Aviv führt. Menschen machen Geschichte, die Biografie einer Familie ist verwoben mit der ihres Heimatlandes. Für die Autorin dieser autobiografischen Graphic Novel ist diese Einsicht so existenziell, dass sie das Thema zu einer umfangreichen und auch schmerzlichen Familiengeschichte formt. Was sie von Fotografien, rudimentären Erzählungen und historischen Dokumenten erfährt, bildet sie in Bild- und Textcollagen ab, die der Uneindeutigkeit ihrer Quellen Rechnung tragen. Der Chronologie der politischen und persönlichen Ereignisse folgend, arbeitet sie sich am Schicksal ihr bekannter und auch ganz fremder Menschen ab. Der Anhang bietet reiches, sehr informatives historisches Material mit Stammbäumen, Stadtplänen, Informationen zum modernen Siedlungsbau, zu den nationalsozialistischen Rassegesetzen und ihren Auswirkungen und nicht zuletzt zu den "Stolpersteinen", die der Künstler Gunter Demnig seit 1996 verlegt. Auch hier lassen sich weitere Hinweise zu Einzelthemen finden. Bei der Lektüre stellt sich also der Eindruck ein, Geschichte sei ein Bündel miteinander verwobener Fäden, die mittels Erinnerung und Nachforschung verfolgt werden können und sollen. Besonders jungen Leser/-innen wird das Studium von Geschichte also als zukünftige, unabschließbare Arbeit vermittelt - kaum ein Schulbuch wird diesen Impuls so nachdrücklich anregen können wie diese Graphic Novel.
Dominique Moldehn
rezensiert für den Borromäusverein.
Der Duft der Kiefern
Bianca Schaalburg
avant-verlag (2021)
205 Seiten : farbig
fest geb.