Adieu Birkenau
Die 1925 in Paris geborene Ginette Kolinka stammt aus einer großen jüdischen Familie mit osteuropäischen Wurzeln. Während des Zweiten Weltkriegs floh sie im Juli 1942 nach Avignon in die zunächst unbesetzte Zone Frankreichs, wurde aber im Frühjahr
1944 zusammen mit ihrem Vater, einem Neffen und einem jüngeren Bruder von den Nazis aufgegriffen und mit dem Transport Nr. 71 nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Anders als ihre männlichen Familienmitglieder überlebte sie als Zwangsarbeiterin, zunächst in Birkenau, die letzten Kriegsmonate in Bergen-Belsen und in Theresienstadt, die Shoah. Erst im vorgerückten Alter begann sie, über diese Zeit zu sprechen, und wurde in Frankreich zu einer vielgefragten Zeitzeugin des Holocaust. Im Mittelpunkt dieser autobiografischen Erzählung stehen ihre Erinnerungen während einer letzten, 2020 im hohen Alter von 95 Jahren durchgeführten Reise nach Birkenau. Da begleitete sie eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern der Schule in Paris, die sie einst auch als junges Mädchen besucht hatte. So legt sie gegenüber einer jüngeren Generation Zeugnis über das Geschehene ab, damit sich das Vergangene nicht wiederholt. Dies und auch die Ehrlichkeit, mit einer aufgrund des Verdrängens und Vergessens manchmal nur lückenhaften Erinnerung offen umzugehen, verleihen der Erzählung eine hohe Authentizität. Zeichnerisch ist der Wechsel zwischen Heute und Damals sehr gut umgesetzt; nicht nur auf dem Cover, sondern auch im Werk begegnet Ginette immer wieder schemenhaft den Schatten ihrer eigenen Vergangenheit. Angesichts einer wachsenden Zahl von Holocaust-Leugnern und einer Erstarkung des Rechtspopulismus in unserem Land können Büchereien gar nicht genug solcher Titel anbieten. Breit empfohlen.
Siegfried Schmidt
rezensiert für den Borromäusverein.

Adieu Birkenau
Ginette Kolinka ; Szenario: JDMorvan & Victor Matet ; Zeichnungen Cesc & Efa ; aus dem Französischen von Harald Sachse
Splitter (2024)
95, XIII Seiten : farbig
fest geb.