Der Staubleser

"Es ist nun einmal notwendig, einen gewissen Staub von der Oberfläche wegzublasen, um auf Dinge zu stoßen, von denen viele glauben, es gäbe sie nicht mehr". Genau das tut der Antiquitätenhändler Alfred, der aus der Staubschicht und dem Geruch Der Staubleser von alten Wohnungen, mit deren Auflösung er beauftragt ist, Rückschlüsse auf deren ehemalige Bewohner und das Alter der Gegenstände ziehen kann. Er ist ein Gentleman der alten Schule, ein präziser Beobachter und befleißigt sich einer gewählten Sprache: Ausdrücke wie "Gehen wir!", deren Ursprung er im Englischen vermutet, verabscheut er. Seine Typologie der Pizza-Esser beispielsweise (Konzentriker, Sekantentyp, Amerikaner) ist großartig. Seine Sprache spiegelt seinen Charakter: Er will Vergangenes bewahren. Alfred liebt das Schöne: Möbel, Bilder und schöne Frauen und pflegt ein geruhsames, stressfreies Leben bis zu dem Tag, als eine Amerikanerin ihn beauftragt, ein ihrer Familie vor ihrer Flucht aus Wien 1938 von den Nazis entwendetes Gemälde wiederzufinden. Auf einen ersten Hinweis stößt er, als er eine Wohnung entrümpeln muss. Dort entdeckt er ein Foto, das den Wohnungsbesitzer in Wehrmachtsuniform zeigt und ein Schreiben von einem Schätzmeister einer Arisierungskommission. Auch stößt er auf Verwicklungen Wiener Honoratioren in dubiose Geschäfte und wird bedroht. Alfreds ruhiges Leben ist vorbei, er muss Position beziehen. - Ein großartiges Romandebüt in einer wunderbar gewählten Sprache, das sich nach der ersten ruhigen Hälfte zu einem zeitgeschichtlichen Krimi über Raubkunst entwickelt und zudem den Antisemitismus in Österreichs heutiger feiner Gesellschaft anprangert.

Ileana Beckmann

Ileana Beckmann

rezensiert für den Borromäusverein.

Der Staubleser

Der Staubleser

Josef Brainin
Braumüller (2013)

295 S.
fest geb.

MedienNr.: 378324
ISBN 978-3-99200-081-4
9783992000814
ca. 21,90 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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