Schattenfroh

Dieses Buch ist wie ein Altar. Darauf dargebracht werden diverse Opfer: der Vater, die deutsche und europäische Geschichte, die Theologie - und Gott. Wie das geht? Mit einer ausgeklügelten Zeremonie des Schreibens. Denn darum ist es Michael Lentz, Schattenfroh dem Autor dieses im Wortsinne gewaltigen Werkes, eigentlich zu tun: zu beschreiben, wie ein Ich aus den oben genannten Opfern entstanden ist und wo es sich selbst in der Schrift verortet. Das wiederum ergibt keine Sprachtheorie, obwohl auch da der Autor mit Verweisen auf französische Philosophie der Postmoderne und scholastisches Denken im Spätmittelalter nicht spart. Nun gut, der Ich-Erzähler von "Schattenfroh" hockt ohne Zunge und ohne Medien in einem abgeschotteten Raum, mit einer Art Gesichtsmaske, die den Kopf warm halten, und einer Brille, die den Blick nach innen lenken soll. Denn es geht um eine Niederschrift der Gedanken beim Denken, in deren Zentrum der Vater steht, der reale Vater (der wie der von Lentz früher Oberstadtdirektor von Düren war) und der Vatergott, um den sich Evangelisten, Propheten und gefallene Engel (wie der Einflüsterer des Erzählers namens "Schattenfroh") scharen. Auch im Schriftbild beansprucht das Buch Aufmerksamkeit: alle mehr als 3.100 Namen der am 16. November 1944 beim Bombenangriff auf Düren Gestorbenen sind handschriftlich mit ihrem Alter notiert. Ein faszinierendes Epos über die Erinnerung und die Schrift, ein gargantuesker Roman über das rheinländische Düren und seine Geschichte, eine eindringliche Vater-Erzählung mit kafkaesken Zügen: einer der ambitioniertesten Romane der Gegenwartsliteratur.

Michael Braun

Michael Braun

rezensiert für den Borromäusverein.

Schattenfroh

Schattenfroh

Michael Lentz
Fischer (2018)

1007 S.
fest geb.

MedienNr.: 594632
ISBN 978-3-10-043938-3
9783100439383
ca. 36,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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