Die Verlassenen
Ein Mann um die Vierzig entdeckt einen Brief an seinen Vater, der ihn nach Norwegen führt und eine unerzählte Familiengeschichte freilegt, durch die er einige Dinge in seinem Leben wenigstens ansatzweise erklären kann. Der Ich-Erzähler hat bis zum Tod seiner Mutter eine behütete Kindheit. Danach lebt er mit seinem Vater zusammen, der nicht mit ihm über den Tod der Mutter oder irgendwelche Gefühle reden kann und dann von einem Tag auf den anderen verschwindet, als der Sohn dreizehn ist. Schutz bietet ihm nur noch die Großmutter, die aber auch keine Erklärungen abgibt für das plötzliche Verschwinden seines Vaters oder die Umstände, unter denen seine Mutter starb. Erst durch den Brief und seine Nachforschungen findet der Ich-Erzähler heraus, dass der lange Schatten der Staatssicherheit der DDR auf der Familie lag: Die Eltern waren in der Dissidentenszene der 1980er Jahre aktiv. Ausgerechnet ein Freund seines Vaters aus diesem Kreis, zu dem der Heranwachsende Vertrauen fasst, entpuppt sich als informeller Mitarbeiter der Stasi. Eine sehr einfühlsame Sprache, die sowohl den kindlichen Blickwinkel wie auch den des Erwachsenen wiedergibt, der eine unsichtbare Mauer zwischen sich und seiner Umgebung spürt. Sehr ergreifend und empfehlenswert.
Ruth Titz-Weider
rezensiert für den Borromäusverein.
Die Verlassenen
Matthias Jügler
Penguin Verlag (2021)
186 Seiten : Illustrationen
fest geb.