Wunder
"August ist die Sonne. Mom und Dad und ich sind Planeten, die die Sonne umkreisen" (S. 103), so beschreibt die 15-jährige Olivia ihre Familiensituation. Ihr fünf Jahre jüngerer Bruder ist die Folge eines doppelten Gen-Defekts seiner Eltern. Er selbst stellt sich ganz zu Beginn folgendermaßen vor: "Ich weiß. Dass ich kein normales zehnjähriges Kind bin. Ich meine, klar, ich mache normale Sachen. Ich esse Eis. Ich fahre Fahrrad. Ich spiele Ball. Ich habe eine Xbox. Solche Sachen machen mich normal. Nehme ich an. Und ich fühl mich normal. Innerlich. Aber ich weiß, dass normale Kinder nicht andere normale Kinder dazu bringen, schreiend vom Spielplatz wegzulaufen ... Ich heiße übrigens August. Ich werde nicht beschreiben, wie ich aussehe. Was immer ihr euch vorstellt - es ist schlimmer." Mit diesem authentischen O-Ton nimmt ein wundervoller Charakter den Leser gleich für sich ein. August ist schlau, witzig, mutig, und er betrachtet seine Situation nicht weinerlich, sondern ganz nüchtern: nämlich als ein Problem, das andere mit ihm haben, und nicht umgekehrt. Nur, dass er jetzt unter der schützenden Hand der Familie hervortreten und in die Schule gehen soll, macht ihm Angst. - Außer August und Olivia kommen im Roman noch vier Freunde zu Wort, die in eigenen Kapiteln Augusts erstes Jahr an einer öffentlichen Schule reflektieren. Man kann das Debüt der New Yorker Buchdesignerin Raquel J. Palacio als eine Schulfreundschaftsgeschichte im Stil von "Gregs Tagebüchern" (die auch erwähnt werden) lesen, in welchen auch alles Mögliche peinlich ist; man will eben einfach dazugehören und auf keinen Fall "anders" sein. - Der anrührende (und erst gegen Ende etwas sentimental und pathetisch werdende) Roman kann jungen Lesern ab 10 Jahren ans Herz gelegt werden. (Übers.: André Mumot)
Karin Blank
rezensiert für den Borromäusverein.
Wunder
Raquel J. Palacio
Hanser (2013)
381 S.
fest geb.
Borromäus-Altersempfehlung: ab 10