Schwierige Bibelstellen - spirituell erschlossen
Nicht immer gelingt es der Theologie, schwierige Texte des Alten und Neuen Testamentes so auszulegen, dass die Leser von heute damit etwas anfangen können. So ist es zu begrüßen, dass Pater Anselm Grün sich auf eine spirituelle Interpretation konzentriert, die sicherlich der theologischen Vielschichtigkeit dieser Texte, ihren verschiedenen Schriftsinnen, wie sie seit Origenes unterschieden werden, zwar nicht gerecht wird, dafür aber viele Ansatzpunkte für eine Selbst- und Gotteserfahrung bietet. Ein Beispiel dafür: die Opferung Isaaks durch Abraham. Grün legt sie nicht wie in der Tradition aus als Vorausverweis auf das Opfer Christi am Kreuz, sondern als Lehrgeschichte, die uns davor warnt, die eigenen Kinder unseren Götzen, unseren falschen Gottesbildern zu opfern. Das schließt andere Deutungen nicht aus, sucht aber zuerst einen Anknüpfungspunkt im eigenen Leben. Schade, dass Grün, der in der Einleitung auch ein wenig über seine Grundsätze, die Hl. Schrift zu verstehen, schreibt, sein Gadamer entlehntes Verstehensprinzip, das Eigene mit dem fremden Text zu verbinden, nicht auch auf die Kirche angewandt hat. Dann wäre deutlicher geworden, dass sie ihre eigene Lesart hat, die unersetzbar gültig gegenüber allen "anthropologischen" Zugängen bleibt. Dennoch breit zu empfehlen.
Richard Niedermeier
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Schwierige Bibelstellen - spirituell erschlossen
Anselm Grün
Herder (2014)
Einfach leben
175 S.
fest geb.