Zauberberg 2
Dieses Buch ist ein Wagnis. Ausgerechnet den „Zauberberg“ von Thomas Mann nimmt sich Heinz Strunk vor. Einen kanonischen Roman, über den sich die Schauspielerin Liz Taylor einmal beschwerte, befragt, warum sie sich von Richard Burton habe scheiden
lasse: „He forced me to read this damned book“. Nun ja, mag man sich denken, warum nicht die seelische Grausamkeit unserer Zeit auf einen Helden verlagern, der wunschlos unglücklich, erfolgreich depressiv und in Vergänglichkeitsgedanken gefangen ist. Jonas Heidbrink heißt dieser Held, hat viel Geld mit einer Software-Erfindung gemacht und sich selbst in ein Sanatorium überwiesen. Das siedelt der Autor nicht im Hochgebirge an, sondern in der sumpfigen Einöde von Mecklenburg. Das Personal ist bunt gemischt, wie bei Thomas Mann, doch an die intellektuelle Größe von dessen Figuren reichen Strunks Patienten nicht heran. Müssen sie aber auch nicht. Der Roman kreist um Gesundheit und Krankheit, um viele Mahlzeiten und wenige Spaziergänge. Und um ausführliche Gespräche, deren Inhalt eher nichtig als wichtig ist, bei Billiggebeten und Kalendersprüchen. In Übertreibungen und in der Schilderung der Atmosphäre einer allgemeinen großen Gereiztheit ist Strunk richtig stark: Dass große Katastrophen bevorstehen, glauben die Insassen des Luxus-Resorts sogar noch, als das längst bankrott, der Klinikdirektor über alle Berge und die Küche nur noch mit Convenience Food ausgestattet ist. Und Heidbrink verliert sich zum Ende der Handlung hin nicht im Krieg (wie bei Th. Mann), sondern auf einem wackligen Hochsitz. So gelingt es Strunk, unserer Zeit mit einem Erzähltrick Thomas Manns heimzuleuchten: mit jener röntgengenauen Ironie, die von den Figuren als liederliches Zivilisationshindernis gegeißelt wird. Ob das jedem Lesenden gefällt, bleibt dahingestellt; von den selbstverschuldeten Nöten einer ungeduldigen und ungeordneten Zeit so verzweifelt gut oder eben herrlich langweilig zu erzählen, das ist schon eine Kunst, die des Romantitels würdig ist. Auch ohne Zauber und ohne Berg.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.

Zauberberg 2
Heinz Strunk
Rowohlt (2024)
287 Seiten
fest geb.