Gegenspiel

Das bewährte literarische Konzept, die Protagonisten im Wechsel auftreten zu lassen um durch die verschiedenen Perspektiven mehr Tiefe und Differenzierung zu erzielen, wird hier auf zwei aufeinander folgende Romane angewandt. Während im hoch gelobten Gegenspiel Vorgängerroman ("Fliehkräfte", 2012: BP/mp 12/884) der fast 60-jährige Philosophieprofessor Hartmut Hainbach erzählt, schildert nun die deutlich jüngere Maria Antonia, seine portugiesischstämmige Ehefrau, die Ereignisse aus ihrer Sicht. Lassen sich die Lebensentwürfe auf individuelle Selbstverwirklichung fokussierter Menschen überhaupt realisieren? Marias Ziel war es nie, "in der weiblichen Dreieinigkeit" von "Ehefrau, Hausfrau und Mutter" (S. 405) aufzugehen. Eine ungewollte Schwangerschaft bzw. eine vorausgehende Abtreibung, die ungeliebte Mutterrolle und der Beruf ihres gutsituierten Mannes zwingen ihr dennoch diese Rolle auf. Der Roman schildert über einen Zeitraum von ca. 25 Jahren, wie Maria und ihr an sich einfühlsamer Mann sich an dieser Konstellation wundreiben. Depression, Seitensprünge, Gefühle der Ohnmacht und Unzufriedenheit mit dem Leben im westdeutschen Provinzmief charakterisieren Marias Lebenssituation. Hilflosigkeit und Nichtverstehen die des Mannes. Erst als die 20-jährige Tochter das Haus verlassen hat, wagt Maria gegen den Willen ihres Mannes einen Neuanfang. - Dass der Roman keine einfachen Lösungen anbietet, dass keinem der beiden Protagonisten in plumper Weise die Schuld zugewiesen wird, gehört neben der treffsichern Charakterisierung der Figuren und der sprachlichen Qualität zu den großen Stärken des Romans. Fazit: Dem noch relativ jungen Autor ist ein fesselnd-lebenskluger, den Zeitgeist erstaunlich authentisch erfassender Roman über die Gefährdungen einer modernen Ehe gelungen. Sollte man lesen!

Gegenspiel

Gegenspiel

Stephan Thome
Suhrkamp (2015)

457 S.
fest geb.

MedienNr.: 782582
ISBN 978-3-518-42465-0
9783518424650
ca. 22,95 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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