Gott der Barbaren
Stephan Thomes Roman (Longlist des Deutschen Buchpreises 2018) spielt im China des 19. Jahrhundert zur Zeit der Taiping-Revolution. Das ist ein in der deutschen Literatur bislang unbeschriebenes Thema. Thome hat Sinologie studiert, einschlägig promoviert und ist landes- und sprachenkundig genug, um seine Leser aufs eindringlichste mit jener Epoche vertraut zu machen. Das gelingt in - übrigens auch erzählerisch (es gibt neben der Hauptstory Tagebuchauszüge, Debattenprotokolle und Briefe) - wechselnden Perspektiven auf die Hauptprotagonisten, den Ich-Erzähler Philipp Johann Neukamp, einen China-Missionar, den General der Hunan Armee und die Häupter der Qing-Dynastie, vor allem aber den "Himmlischen König" Hong Xiuquan, der im Namen seiner wahnwitzigen Mission, Sohn Gottes und Jesu Bruder zu sein, einen Bürgerkrieg anzettelte, der zu den opferreichsten der Menschheitsgeschichte gehört. Man erfährt viel über Hof- und Staatsintrigen, Revolutionswirren und den "Weltgeist zu Pferde" (Hegel), über Opium gegen Wundbrand und die Probleme des Sonderbotschafters der britischen Krone, Lord Elgin. Der Titel des Romans ist kolonialismuskritisch gemeint und aus nichteuropäischer Sicht heraus zu verstehen: Was ist das für ein Gott, dessen Anhänger, die "Barbaren" aus dem Westen, kein mitfühlendes Herz für die Einheimischen anderen Glaubens haben? Ein historischer Abenteuerroman und dazu eine feinsinnige Studie über Religion und Gewalt in Gottes Namen, ein Gleichnis über die Katastrophe eines christlichen Gottesstaats im Fernen Osten, das vergleichbar ist mit Shusaku Endos christlichen Missionarsromanen und von erstaunlicher Aktualität.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Gott der Barbaren
Stephan Thome
Suhrkamp (2018)
715 S. : Kt.
fest geb.