BOT
Wer zum Henker ist der Autor dieses Buches? "Clemens Setz" steht auf dem Umschlag. Das Wunderkind der österreichischen Literatur, der auch Mathematiker ist, sich als Hypochonder bekennt und am liebsten "Dichter im Weltraum" wäre, ist auch tatsächlich drin im Buch. Aber ganz anders, als man denkt. Denn aus dem Gesprächsband, den die Journalistin Angelika Klammer mit Clemens Setz machen wollte, wurde nichts. Die mündlichen Antworten waren untauglich. Plan B ist der "Bot". Das steht für Roboter und ist in diesem Fall ein schlichtes Textverarbeitungsprogramm, mit dem das Gespräch aus vorgefertigten Fragen und Antworten aus Setz' umfangreichen Journalen und Tagebüchern entworfen worden ist. So entsteht auf digitalem Wege ein "Kommunikationsjazz", in dem unnützes Wissen, inspirierende Apotheken, Gesichtsfeldausfälle und das Erleben von Farben, verhüllte Tempel und namenlose Gräber in Japan, Kirchenglocken und kindliche Verwandlungsängste vorkommen - und so wunderliche Dinge wie "ghostwords" in Lexika, also Wörter, die es eigentlich gar nicht gibt, die "Steinlaus" im Pschyrembel und das "Nasobem" im Brockhaus. Und so ist auch dieses Gespräch ohne einen Autor ein abenteuerliches Spiel mit Augenblicks-Ideen, ein Brevier für Tag und Stunde, ein Surfkurs durch die Seelenlagen von Clemens Setz, ein Experiment mit einem "Poesie-Automaten", wie es schon Philip K. Dick und Hans Magnus Enzensberger vor Jahrzehnten gemacht haben. Aber noch nie in einer so munter-vergnügten Komposition wie hier. Und deshalb gebührt auch der "Zöllnerin" Angelika Klammer Dank. Denn sie hat dem gesprächsunwilligen Autor seine Weisheit erst abverlangt. Für alle Bestände.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
BOT
Clemens J. Setz. Hrsg. von Angelika Klammer
Suhrkamp (2018)
166 S. : Ill.
fest geb.