Das zweite Schwert

Die wohl männliche namenlose Hauptperson dieser neuen Erzählung des jüngst mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Schriftstellers will sich an einer Journalistin rächen und diese töten. Diese hat nämlich vor einiger Zeit seine Mutter verleumdet, Das zweite Schwert indem sie behauptete, die Mutter habe den "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich bejubelt. Wirkt schon das etwas konstruiert, so verliert die magere Handlung fast jede Substanz. Von der Suche nach einem Auftragsmörder bis zum Verzicht auf die blutige Rache vergeht viel Zeit. Dazwischen erfährt der Leser sehr viel von den Beobachtungen und Gefühlen und Erinnerungen des "Rächers", während er in der Ile des France in Richtung des Wohnortes des Opfers unterwegs ist. Unterwegs heißt hier in vielen Erinnerungen, detaillierten Beobachtungen, einer Fülle von Bewusstseinsströmen, die sich in kurzen Abschnitten aneinanderreihen. Der Bezug zum Tat-Ziel ist dabei meist nur indirekt gegeben. Freilich, man kann diese kurzen Texteinheiten als sprachlich schöne Elemente genießen, sofern einen mitunter lange Sätze nicht stören. Nun, das ist Peter Handke. Der Untertitel heißt "Eine Maigeschichte" wohl wegen des Datums der deutschen Kapitulation am Ende des Zweiten Weltkrieges, aber auch wegen des aufblühenden Frühlings, der für die Befreiung vom Rachezwang steht. Der Titel "Das zweite Schwert" gilt der zweifachen Veränderung des Racheziels; denn in der Mitte der Erzählung erscheint dem Sohn im Traum das dunkle Gesicht seiner Mutter, das sich an ihm gleichsam für seine Vorwürfe "rächt". Noch deutlicher ist die "Rache" des Erzählers an der gesuchten Journalistin, denn sie passt für ihn gegen Ende einfach nicht mehr in seine Geschichte. Er sieht sich im Spiegel mit ihr und meint das Wort "Bräutigam" zu hören. Das gehört zu den Wechselspielen zwischen Realität und deren Infragestellen. Der so erzeugte gewisse surreale Ton verleiht der Erzählung eine Art Schwebecharakter.

Bernhard Grabmeyer

Bernhard Grabmeyer

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Das zweite Schwert

Das zweite Schwert

Peter Handke
Suhrkamp (2020)

157 Seiten
kt.

MedienNr.: 945630
ISBN 978-3-518-42940-2
9783518429402
ca. 20,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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