Ins Innere hinaus
Es beginnt schon mit dem Titel - "Ins Innere hinein" müsste es doch heißen. Das würde man vielleicht verstehen. Aber wie will man "ins Innere", wenn es doch hinaus geht? Der Untertitel deutet dann an, wer vor allem im Mittelpunkt der langsam dahinschwebenden Gedanken steht. Von Engeln ist hier die Rede. Wesen, die niemand jemals gesehen hat, die aber trotzdem anwesend sind. Nicht nur in den alltäglichen Gesprächen ("Er hat einen Schutzengel gehabt"), sondern auch, und da besonders, in der Werbung zum Anreiz von Konsum und Kauflaune. Aber all die gängigen Bilder, mit denen wir Engel zu beschreiben suchen, interessieren den Autor nur am Rande. "Wie kann ich jenen Wesen näherkommen, von denen ich nicht weiß, wie ich sie denken und benennen kann, ja nicht einmal, in welcher Weise es sie überhaupt gibt?" Und am Ende seiner oft wunderbar poetischen Reise, um jenen Wesen zu begegnen, die wir "Engel" nennen, dann das ebenso lapidare wie tiefgründige Resümee: "Es gab sie nicht, aber ohne sie wäre ich verloren gewesen." Ohne sich im Esoterischen zu verlieren, ohne jeden naiv-gläubigen Kitsch schafft es der Autor, unsere scheinbar so rational zubetonierte säkulare Gesellschaft immer poröser werden zu lassen. Ein verstörendes, die Leser in ihrem Weltbild verunsicherndes und gerade deshalb auch sehr zur Lektüre empfohlenes Buch.
Carl Wilhelm Macke
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Ins Innere hinaus
Christian Lehnert
Suhrkamp (2020)
234 Seiten
fest geb.