Der Gott in einer Nuß
Religiöse Rituale sind Wiederholungen reglementierter Handlungen, die eine besondere Gültigkeit beanspruchen und die sich ästhetisch betrachten lassen. Als sei diese treffende Definition von Wolfgang Braungart geradezu für die Literatur gemacht, setzt sie Christian Lehnert, Dichter und Theologe in Leipzig, in seinem Buch "Der Gott in seiner Nuß" gleich um. Es ist eine Sammlung von Notizen. Sie schwanken zwischen Reflexion und Erzählung und sind von der Frage bewegt, was an kirchlich-religiösen Kulthandlungen so bedeutsam und so schön ist. Es geht um das stille Gebet und das Kirchenlied, die Sakramente und biblische Figuren, religiöse Redewendungen und Szenen aus dem Neuen Testament. Aus der kurzen Beschreibung kultischer Vollzüge entwickelt Lehnert, auch gestützt auf seine Erfahrungen als Pfarrer, prägnante Lehrstücke. Etwa über die Folge von Tauf- und Bestattungsfeier oder über die Engel, die seit der Aufklärung ins Putten-Fach abgerutscht sind, aber ihr "Biotop" in der Liturgie gefunden haben. Dort können sie, etwa beim "Gloria", Seelen rühren, Widersprüche lösen, das Undenkbare ins Gemüt legen. Man muss diese Gedanken nicht teilen, um zu verstehen, was sie bedeuten: Kult und Gebet haben einen größeren Platz im Leben, als wir anzunehmen gewohnt sind. Christian Lehnert hat ein wunderbares Buch über die Kraft und den Sinn der christlichen Rituale geschrieben. Für alle Bestände.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.
Der Gott in einer Nuß
Christian Lehnert
Suhrkamp (2017)
236 S.
fest geb.