Reiner Knizia

Deutscher Spieleautor


„Ich bin der glücklichste Mensch der Welt“, sagt Reiner Knizia über sich selbst, und wer sich eine Weile mit dem berühmten Spieleerfinder unterhält, spürt seine positive Energie. Worte wie fantastisch und gigantisch gehen ihm leicht über die Lippen und es ist diese zugewandte Einstellung zum Leben, die den Mathematiker schon seit seiner Kindheit begleitet. Durch eine Biografie, wie sie abwechslungsreicher kaum sein könnte. Mit seinen 58 Jahren lebt er schon sein drittes Leben, wie er selbst sagt - hat Kontinente, Sprachen und Berufe gewechselt.

Seine Kindheit verbringt er im schwäbischen Illertissen südlich von Ulm. Dort wächst er in einem kleinstädtischen Umfeld auf. „Bei uns gab es keinen richtigen Spieleladen, nur einen Frisör, bei dem man ein paar Spiele kaufen konnte. Aber der hatte nicht viel Auswahl und ich hatte nicht viel Taschengeld“, erinnert er sich. Und so fängt Knizia selbst an, Spiele zu bauen und sie mit seinen Freunden zu testen. „Da gab es zum Beispiel ein Spiel mit zwei Burgen, einem Fluss, verschiedenen Wegen – und wir sind dann mit Würfel und Ritter angetreten, um die Burg des anderen zu erobern.“

Die Erfolgsspirale


Die große Karriere als Spieleautor liegt damals noch in weiter Ferne. Nach einem etwas holperigen Einstieg auf dem Gymnasium – „zu Beginn war ich ziemlich schlecht“ - wird er immer besser in der Schule und wächst über sich hinaus. „Ich bin ein sehr kompetitiver Typ“, sagt Knizia über sich, „und die Nachhilfe hat meinen Ehrgeiz angestachelt“. So sehr, dass er die Schule schließlich als Bester seines Jahrgangs verlässt, um in Ulm Wirtschaftsmathematik zu studieren.

Nach seinem Abschluss geht er für ein Jahr in die USA, um an der privaten Forschungsuniversität Syracuse im Bundesstaat New York seinen Master zu machen. Es folgen Jahre des Forschens und Lehrens. Reiner Knizia promoviert in Ulm und kann sich zu dieser Zeit nicht vorstellen, „mal einen Beruf zu ergreifen“. Ein Mentor bringt ihn schließlich Ende der 80er Jahre doch in die Wirtschaft, wo er die Karriereleiter in großen Sprüngen erklimmt: Vom Projektleiter für Softwareentwicklung schafft er es in wenigen Jahren zum Abteilungsdirektor bei einer deutschen Großbank. „Ich befand mich in einer Erfolgsspirale“, sagt Knizia heute.

Als die Bank Veränderungsprozesse anstößt, die Knizia nicht mittragen möchte und ihm die Aufgaben zu politisch werden, schlägt der Manager zum zweiten Mal in seinem Leben eine ganz neue Richtung ein. 1993 folgt er einem Ruf nach England und sitzt kurz darauf als General Manager im Vorstand eines führenden Baufinanzierers. Ein hoher Posten: „Wir hatten 300 Mitarbeiter und schrieben im Jahr für über eine Milliarde Pfund neue Verträge aus“. Darüber kommt nicht mehr viel.


Forscher, Manager und Spieleautor


Windsor im Süden Londons wird sein neues Zuhause und ist es heute noch, obwohl Knizia sich im Herzen ganz klar als Deutscher fühlt. Es bleibt sein Geheimnis, wie er es neben seinen Managementaufgaben schafft, 30 Stunden pro Woche in die Spieleentwicklung zu stecken. Denn seine Leidenschaft hat er bereits im Studium wiederentdeckt und sie nimmt ihn immer mehr gefangen. 80 Spiele entstehen in dieser Zeit aus seiner Feder. Reiner Knizia, der Forscher, Manager und Spieleautor.

Zu den ersten von Knizia entwickelten Spielen gehören die so genannten Postspiele für sein 1985 gegründetes Magazin „Postspillion“. Es sind die Vorläufer der heutigen Online-Rollenspiele, die Millionen von Spielern weltweit vernetzen. Auch damals spielten viele Menschen mit, verbunden durch Briefe und einen koordinierenden Spieleleiter, statt durch Bits und Bytes. Bis 1987 starteten alleine sieben verschiedene Knizia-Postspiele. Der Postspillion erschien bis 2005 und sein letztes Postspiel „Bretton Woods“ lief zwanzig Jahre lang - bis April 2007.

Sich vernetzten, eine Gemeinschaft bilden - das sind Aspekte, die Knizia am Spielen mag. „Ein Spiel lebt immer von den Spielern“, sagt er. „Es soll eine Plattform bieten, auf der ich mich mit anderen Spielern zusammen einbringen kann.“ Spaß und Entspannung stehen dabei vor Komplexität. „Es ist schön, wenn alle eine stimulierende und gute Zeit miteinander haben“, sagt der weltweit führende Spieleautor.


Geschenkter Ausstieg


Es ist diese Leidenschaft, die Reiner Knizia nach vier Jahren Vorstandsarbeit dazu bringt, dem Management den Rücken zu kehren und sich endgültig als Spieleerfinder zu etablieren. Den Ausstieg schenkt er sich im November 1997 zum vierzigsten Geburtstag. Einige Tage später räumt er seinen Schreibtisch und spaziert gut gelaunt aus der Londoner Vorstandsetage, um sich ganz und gar seiner Spielewelt zu verschreiben. „Ich habe das nie bereut“, sagt er heute. In den fast zwanzig Jahren, in denen er sein drittes Leben lebt, hat er hunderte von Spielen entwickelt, viele davon preisgekrönt.

Da gibt es Knizia-Brettspiele und -Taktikspiele, -Kartenspiele und -Kinderspiele, elektronische Spiele und - man geht ja mit der Zeit - auch viele Apps. Gut 600 Stück sind es bis heute und im Firmensitz in Windsor schlummern noch unzählige Schätze. Ob Knizia ein Lieblingsspiel hat? „Das wäre, als würden Sie einen Vater fragen, welches sein Lieblingskind ist“, lacht er. „Das absolute Spiel gibt es nicht, alle haben etwas Besonderes. Mit meinen Eltern würde ich ein anderes Spiel spielen als mit meinen Freunden oder echten Spielefreaks.“ Es hänge immer von der Stimmung und den Menschen ab.

Sein größter wirtschaftlicher Erfolg war das Spiel „Der Herr der Ringe“. Kurz vor den Verfilmungen im Jahr 2000 brachte der Kosmos-Verlag das kooperative Brettspiel auf den Markt, das auch prompt mit dem „Sonderpreis - Literatur im Spiel“ ausgezeichnet wurde. Die Spieler tauchen gemeinsam in die Fantasiewelt J. R. R. Tolkiens ein und kämpfen als Gefährten des kleinen Hobbits miteinander gegen das Böse. Bis der Ring zerstört ist. 


Von der Idee zum Spiel


Auch bei dem neuen Kinderspiel „Captain Black“ das im September 2015 bei Ravensburger erschienen ist, geht es um Teamwork. „Es spielt auf einem gigantischen 90 Zentimeter langen Geisterschiff“, sagt Knizia begeistert. Vor langer Zeit hat Captain Black seinen legendären Schatz auf einer geheimen Insel vergraben. Nun will sein ruheloser Geist dorthin zurück. Die Spieler helfen ihm und müssen viele Gefahren auf den Weltmeeren überstehen. Spieleleiter ist übrigens die Figur des Geisterkapitäns selbst, die mit knarzender Stimme Anweisungen gibt.

Viel Herzblut fließt in so ein Spiel. Von der Idee über die erste Ausarbeitung mit freien Mitarbeitern, den Probeläufen mit Freunden und Zielgruppen, bis hin zu Abstimmung mit Spieleverlagen vergeht viel Zeit. Ein Spiel zu entwickeln bedeutet testen, testen und nochmal testen. „Was im Kopf fantastisch funktioniert, kann in der Umsetzung ganz anders aussehen“, ist Knizias Erfahrung. Schließlich muss das Ergebnis vor den Spielern bestehen. „Ich bin Unterhalter, aber ich stehe nicht auf Bühne in direkter Interaktion mit dem Publikum.“ Wenn die Show zu Hause im Wohnzimmer losgeht, ist er nicht dabei. „Dann muss alles stimmen.“

In seinem Studio in Windsor findet Reiner Knizia sein kreatives Umfeld. In seinem Materialraum liegen tausende Würfel in allen Größen und Farben und Spielfiguren en masse: Zauberer, Aliens, Tiere und was das Spielerherz sonst noch begehrt. Die Bibliothek umfasst alle Exemplare der mehr als 600 Knizia-Spiele und die unvollendeten warten geduldig in ihren Schubladen auf das Tageslicht.


Um vier Uhr früh


„Es gibt Spiele, für die die Zeit noch nicht reif ist“, sagt Knizia. Zwar wünschen sich Spieleverlage Neues, aber nur bis zu einem gewissen Grad. „Wir haben gerade ein großes Wachstum am Spielemarkt. Marketingfachleute sagen, es liegt an der unsicheren weltpolitischen Situation.“ Die Menschen ziehen sich in ihr privates Umfeld zurück und spielen wieder mehr. Dabei greifen sie gerne nach vertrauten Klassikern. „Deshalb muss man beim Entwickeln abwägen, wie viel Innovation sich verkauft.“

Schon um vier Uhr morgens beginnt sein Tag. Nicht weil er muss, sondern weil er will. „Ich genieße die Ruhe, wenn ich in aller Herrgottsfrühe an meinem Schreibtisch sitze und die Spieletests vom Vorabend durchgehe. Das ist der perfekte Einstieg in den Tag.“ Und wenn es dann um acht Uhr richtig losgeht, die Telefone heiß laufen und sich ein Termin an den anderen reiht, dann hat er sein Tagwerk schon fast geschafft.

Privates und Berufliches – bei Reiner Knizia fließen beiden Bereiche ineinander. Das war schon immer so, auch in seinen früheren Leben als Forscher und Manager und heute umso mehr. „Natürlich gibt es auch Pflichten. Aber das meiste ist Kür“, sagt Knizia und man hört seiner Stimme an, dass er es genauso meint. Ob er noch Zeit für andere Dinge hat? „Meine Partnerin lebt in Deutschland. Wir kennen uns seit 35 Jahren, reisen beide viel und genießen unsere Exklusivzeit, wenn wir uns sehen. Das macht die Beziehung so fantastisch.“ Und seinen Alltag frei für seine Lieblinge: Ein Lebenswerk in 600 Schachteln.