Wer Ildikó von Kürthy liest, wird zwischendurch unweigerlich denken: „Genauso ist es!“ Ob nun mit schmunzelnder, abgeklärter oder erstaunter Konnotation. Denn die Autorin und „Frauenflüsterin“ bedient sich gerne der gesamten Klaviatur weiblicher Gefühle und Ansichten, um ihre Romane und Sachbücher zu dem zu machen, was sie sind: Blockbuster der Frauenliteratur. „Ich bin eine Vielfühlerin“, sagte sie einmal in Zeit Online. Es
gebe kaum ein Problem, das sie nicht aus eigener Anschauung kenne.
Und sie hat ein Talent, das alles auf witzige Art in Worte zu fassen. Die Autorin bedient sich dabei saftiger Klischees aus der Welt von Mars und Venus oder nimmt eine ganze Generation von Vollzeit- und Teilzeit-Rabenmüttern aufs Korn. In ihrem aktuellen Buch „Hilde“, in dem sie von ihrem ersten Jahr mit ihrem Mini-Goldendoodle berichtet, treffen Leser auf Schickimicki-Frauchen mit Handtaschen-Shih Tzu und schlammwiesenerprobte Cargohosen-Trägerinnen, die ihre Befehle lauter bellen, als jeder Hund.
Ildikó von Kürthy zu lesen, macht Spaß! Aber das allein erklärt ihren Erfolg nicht. Vielmehr ist es die besondere Authentizität der Autorin, die ihren Leserinnen das Gefühl gibt, mir ihr klönend im Stadtteilcafé sitzen zu wollen. Vermutet man in ihren Romanen hinter jeder Figur die echte Familie Kürthy samt Nachbarn, Freunden und sonstigem Umfeld, kann man bei ihren Sachbüchern sicher sein: Das ist Ildikó, wie sie leibt und lebt. „Meine Bücher sind nicht fiktiv“, sagt sie selbst.
Diese Offenheit, gepaart mit herrlich trockener Selbstkritik („Ich mache gerne Witze über mich, bevor sie ein anderer macht“) lässt die 50-Jährige einfach nur menschlich, unkompliziert und sympathisch wirken. Ildikó von Kürthy sieht aus wie jemand, der vor allem die Sonnenseiten des Lebens kennengelernt hat. Und doch sind die Jahre nicht spurlos an ihr vorbei gegangen. In ihrem Buch „Hilde“ geht es immer wieder um eine ungestillte Sehnsucht nach Vergangenem, nach glücklichen Kindertagen, nach ihren Eltern.
Erst Mitte 20 ist Ildikó von Kürthy, als zuerst ihr Vater und zwei Jahre später ihre Mutter versterben und sie alleine zurücklassen. Wie sehr sie ihr fehlen, sei ihr
bewusst geworden, als sie selbst Mutter wurde. „Mit der Geburt meiner Kinder sind sie mir noch einmal verloren gegangen“, sagt sie im Interview mit dem Schweizer Frauenmagazin „annabelle“. Gerne hätte sie sich mit ihren vielen Fragen an sie gewandt, sich mit ihnen über Kindererziehung ausgetauscht.
Gerade ihr Vater, ein Ungar und seinerzeit Professor der Pädagogik an der RWTH Aachen, hätte ihr sicher viel zu sagen gehabt. Sprache, so Ildikó von Kürthy sei in ihrem Elternhaus ohnehin wesentlich gewesen. Ihr Vater geriet während des Studiums nach dem Zweiten Weltkrieg in Ungarn unschuldig in politische Gefangenschaft. Durch eine unbehandelte Augenerkrankung erblindete er in dieser Zeit. Sein einziges Kind, Ildikó, hat er nie gesehen.
„Die Sprache war unser einziges Medium“, erklärt von Kürthy ihr Vermögen, Dinge, Befindlichkeiten, Begegnungen und Szenarien anschaulich und treffend in Worte zu fassen. Für sie war es selbstverständlich, dem Vater ihre Augen zu leihen. Zum Beispiel im Flugzeug, wo sie ihm die Wolken von oben beschrieb. Auch ihre Mutter, eine Buchhändlerin, sorgte zu Hause für ständigen Lesenachschub. Und weil extra Studenten ins Haus kamen, um ihrem Vater vorzulesen, war Ildikó von Anfang an von hochwertiger Sprache umgeben.
Mit diesem „einzigen Talent“ gesegnet, war Ildikós Weg recht klar vorgezeichnet. Nach dem Abitur verließ sie ihre rheinische Heimat gen Hamburg, um an der renommierten Henri-Nannen-Schule Journalistik zu studieren. Sie fand ihren Einstieg bei der Frauenzeitschrift „Brigitte“, für die sie noch heute die Kolumne „Problemzonen“ schreibt. Von 1996 bis 2005 war Ildikó von Kürthy beim Magazin „Stern“ Redakteurin im Ressort Kultur und Unterhaltung. Als sie 1998 über das Thema Heiraten schrieb, kam ein Anruf der Lektorin Britta Hansen vom Rowohlt Verlag. Ob Ildikó Lust hätte, einen klugen und lustigen Frauenroman zu schreiben. Ildikó hatte Lust und das Ergebnis „Mondscheintarif“ wurde und blieb ein Bestseller und schaffte es 2001 sogar in die Kinos.
Fast zwei Jahrzehnte später hat von Kürthy zwölf Bücher veröffentlicht, in den letzten Jahren vor allem Sachbücher, in denen sie eigene Erfahrungen in gewohnt humorvoller Manier mit ihren Leserinnen teilt. Ihre Bestseller wurden mehr als sechs Millionen Mal gekauft und in 21 Sprachen übersetzt. Ihre Lesungen füllen ganze Säle und erinnern mehr an eine Comedy-Show, bei der Kürthy - meist mit einem männlichen Gegenpart – liest, singt, schauspielert, improvisiert und sich gemeinsam mit dem Publikum kaputtlacht.
Es ist nicht „nur“ ihr Talent für Sprache und Witz – Ildikó lebt ihre Bücher, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Recherche nimmt sie durchaus ernst. Für ihren Roman „Höhenrausch“ zieht Ildikó von Kürthy nach Berlin und stürzt sich exzessiv ins Nachtleben der Hauptstadt. Einmal reist sie in die Türkei und bucht sich im Robinson-Club für Singles ein. Für den Roman „Sternschanze“ zieht sie in eine Wohnung in der Hamburger Gefahrenzone, übernachtet in Motels und arbeitet als Kellnerin.
Für „Neuland“ geht sie so richtig ans Eingemachte und widmet sich ein Jahr lang der Selbstoptimierung. Sie schweigt im Kloster, schläft in der Wildnis, stellt ihre Ernährung um und versucht sich in Mediation und Askese. Damit nicht genug, wandelt sie sich von einer hübschen, brünetten, eher bodenständigen Erscheinung in eine Hollywood-Diva mit Botox-geglättetem Gesicht, professionellem Make-up und Gewand und langen blonden Extensions. „Die siehst aus wie eine 15-Jährige“, sagt ihr Mann zu ihr. „Allerdings wie eine tote 15-Jährige.“
Überhaupt ihr Mann. Als cooler Hanseat durch und durch ist er der schmallippige Gegenpart zur fröhlichen Rheinländerin, die den Karneval liebt. Eher nicht der Typ, den man freiwillig ansprechen würde, beschreibt sie ihn in „Hilde“. Und doch hält Sven Michaelsen, der selbst für den „Stern“ und die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt, seiner Frau den Rücken frei. Er erduldet ihre Recherchephasen, redigiert ihre Bücher und kümmert sich um die Söhne Gabór und Leonard. Die Familie lebt im vornehmen Hamburger Stadtteil Harvestehude. Und jetzt lebt dort auch „Hilde“, das Doodle-Mädchen.
Ein Jahr lang haben sich Frauchen und Hund, der nach Ildikós verstorbener Tante Hilde aus dem Münsterland benannt ist, aneinander gewöhnt. Der Weg
war nicht immer leicht, führte mit dem Kotbeutel durch den frühmorgendlichen Gartentau und über morastige Hundeplätze. Hilde sollte Ildikós Sehnsucht stillen: Nach der behüteten Kindheit und ihrem Hund Imperator, den sie als Elfjährige unverhofft bekam und der nur ein Jahr bei ihr lebte, bevor er vom Auto überfahren wurde.
Wie gewohnt schreibt Ildikó ironisch, selbstkritisch und unverstellt über die Beziehung zur ihrer kleinen Hundedame. Über die Höhen und auch vielen Tiefen des Frauchen-Daseins. Zwischendurch finden sich immer wieder lesenswerte zeit- und gesellschaftskritische Betrachtungen. Von Kürthy kann auch philosophisch. Hund und Frauchen scheinen nach einem Jahr zueinander gefunden zu haben.
Sie teilen eine Vorliebe für Serien, haben bei hoher Luftfeuchtigkeit mit ihrer Frisur zu kämpfen und sind beide eher ängstliche Typen. Tatsächlich tragen sie sogar den gleichen Namen. Denn das ungarische Ildikó bedeutet auf Deutsch „Hildchen“. Nein, Hilde hat es nicht geschafft, Imperator auferstehen zu lassen oder eine Brücke in die Vergangenheit zu schlagen. Aber vielleicht, so das neue Gefühl Ildikós, ist die Zukunft ja auch wichtiger.