Der Wind kennt meinen Namen
Samuel, Leticia und Anita verbindet, dass sie als Kleinkinder politische Gewalt und die Trennung von ihren Eltern erleben: Naziterror 1938 in Wien, Bürgerkriege in El Salvador 1981 und Separierung kleiner Kinder von ihren Eltern an der mexikanisch-amerikanischen Grenze 2019. Die Kinder halten die Erinnerung an die Eltern, ihr aufopferungsvolles Leben – auch idealisierend – hoch. In der Hoffnung auf ein Wiedersehen durchleiden die Kinder traumatische Zwischenstationen in Lagern und Heimen. Die Lebensretter von Samuel und Leticia sind Menschen, deren soziales Leben in ihren Religionsgemeinschaften und deren Jenseitshoffnung streng verwurzelt ist. Samuel "ersetzt" nach einer Musikerkarriere in England und Amerika seinen jüdischen Glauben durch den Jazz, wird erfolgreich und setzt sein Geld während der Corona-Pandemie für Anita ein. Diese hat sich, stark sehgeschädigt, in eine Traumwelt mit der verstorbenen Schwester gerettet. Als Samuel und die bei ihm als Hausangestellte arbeitende Leticia das Kind aufnehmen und fördern, erfährt Anita erstmals verlässliche Förderung und lernt Vertrauen kennen. – Ein emphatischer Roman; das gute Anliegen überragt anders als in früheren Romanen die Kraft der Sprache und der erzählerischen Handlung. Die Danksagungen zum Ende deuten an, dass in den Roman biografische (u.a. Tod der Tochter Paula, Terror in Chile) Erfahrungen und die eigene Stiftungsarbeit zugunsten benachteiligter Kinder eingeflossen sind. Dies kann die im Roman vergleichbar dargestellten Leiderfahrungen der Kinder erklären, wird der Einzigartigkeit des Holocaust jedoch nicht gerecht.
Rolf Pitsch
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Der Wind kennt meinen Namen
Isabel Allende ; aus dem Spanischen von Svenja Becker
Suhrkamp (2024)
335 Seiten
fest geb.