Verloren in Eis und Schnee
Leningrad Juli 1941, wie zahlreiche andere Kinder werden die dreizehnjährigen Zwillinge Viktor und Nadja von ihren Eltern zum Bahnhof gebracht, damit sie in Zügen die Stadt verlassen. Schon bevor die Fahrt losgeht, werden die Geschwister getrennt.
Nadja landet in Zug Nr. 76 und Viktor in Zug Nr. 77. Ursprünglich war der Ural als sicheres Ziel genannt, aber Nadjas Zug stoppt bereits in Mga, kurz hinter Leningrad und Viktor landet in einer Kolchose in der Stadt Kasan, 800 km östlich von Moskau. Kurz vor der Abfahrt hatten sie begonnen, gemeinsam Tagebuch in Hefte zu schreiben. Nun schreiben sie getrennt weiter, erzählen von ihrem Überlebenskampf, ihrer Odyssee zueinander, immer unter der Prämisse: wir kommen wieder zusammen! - Auch als LeserIn muss man daran keine Sekunde zweifeln, denn die ersten beiden Seiten beginnen mit Erinnerungsaufzeichnungen und Kommentaren von beiden, die nach den Geschehnissen geschrieben wurden. Spannung bezieht die Handlung allerdings dadurch, dass die Hefte als Akte des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten erscheinen. Der parteitreue Oberst Smirnow liest die Hefte zeitgleich mit dem Leser und soll abschließend beurteilen, ob sich die Geschwister schuldig gemacht haben. Morosinotto hat sich mit Die Mississippibande (BP/mp 17/767) als großartiger Erzähler einer Abenteuergeschichte erwiesen. Leider lesen sich die Geschehnisse um die beiden Geschwister auch eher als Abenteuerroman. Der Unmenschlichkeit der Kriegsgeschehnisse wird das heldenhafte Verhalten der Geschwister entgegengesetzt. Sicherlich werden Gräueltaten rund um die Belagerung nicht auserzählt, doch müssen die Hauptfiguren auf ihrem Weg zueinander ziemlich viel ertragen, ohne dass sie davon emotional stark berührt scheinen. Eine Zeittafel mit historischen Fakten wäre hilfreich gewesen. So bleiben nur der Hinweis und kurze Ausführungen im Nachwort, es handle sich um einen "nahezu historischen Roman".
Anna Winkler-Benders
rezensiert für den Borromäusverein.

Verloren in Eis und Schnee
Davide Morosinotto
Thienemann (2018)
422 S. : Ill. (z.T. farb.), Kt.
fest geb.
Borromäus-Altersempfehlung: ab 12