Spiegel unseres Schmerzes

Obwohl Frankreich dem Deutschen Reich bereits 1939 den Krieg erklärt hatte, ist es im Frühjahr 1940 noch ruhig in Paris. Wenige Tage vor der Einnahme von Paris werden vom Generalstab noch Verlautbarungen vom heldenhaften Widerstand der eigenen Truppen Spiegel unseres Schmerzes verbreitet. Als die Katastrophe aber augenscheinlich ist, beginnt eine Fluchtwelle in den Süden des Landes. Da ist Louise, eine Lehrerin, die an den Wochenenden in der Gastwirtschaft "Petite Boheme" des Monsieur Jules kellnert. Nun sind die beiden mit dem Oldtimer des Wirtes auf der Flucht. Da sind der Oberfeldwebel Gabriel und der Gefreite Raoul, die in einem Bunker der Festungsanlagen dienten. Da ist Fernand, ein Unteroffizier der Mobilgarde, die zusammen mit regulären Soldaten die Häftlinge zu bewachen haben. Und nicht zuletzt geht es um Désiré Migault, einen liebenswerten Schwindler, Hochstapler, der mal als Rechtsanwalt auftritt, sich später beim Generalstab Meriten erwirbt und zuletzt als Priester den Flüchtlingen hilft. All die Protagonisten treffen zu guter Letzt im Lager von "Pater" Désiré aufeinander, wo sie erkennen, dass hier Endstation ist. - Im ersten Band der Trilogie "Wir sehen uns dort oben" (2014, Besprechung nur online) ging es um den Ersten Weltkrieg. Im Folgeband "Die Farben des Feuers" (BP/mp 19/422) wurde von den Wirtschaftskrisen zwischen den Kriegen erzählt. Differenziert und auch amüsant schildert der Autor hier die plan- und kopflose Flucht der Franzosen, als die deutsche Wehrmacht vorrückte. Die vom Autor geschaffenen Figuren, ambivalent und schrullig, sind großartig geschildert und können einem ans Herz wachsen. Natürlich ist das Aufeinandertreffen der meisten Beteiligten in dem Lager etwas dick aufgetragen, das tut aber der insgesamt wunderbaren spannenden, unterhaltsamen und auch berührenden Geschichte keinen Abbruch.

Erwin Wieser

Erwin Wieser

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Spiegel unseres Schmerzes

Spiegel unseres Schmerzes

Pierre Lemaitre ; aus dem Französischen von Tobias Scheffel
Klett-Cotta (2020)

479 Seiten
fest geb.

MedienNr.: 602251
ISBN 978-3-608-98361-6
9783608983616
ca. 24,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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