Leere Herzen
Im Jahr 2025 hat die "Bewegung Besorgte Bürger" die Macht in Berlin übernommen, Angela Merkels Rücktritt liegt acht Jahre zurück. Im Mittelpunkt Britta, die alles gefunden zu haben scheint. Sie arbeitet in "völliger Übereinstimmung" mit dem Zeitgeist. Doch woher rühren die Magenschmerzen, die sie immer häufiger plagen? Dann ändert sich eine Variable der Gleichung: Ein stümperhafter Terroranschlag in Leipzig berührt unmittelbar Brittas spezielles Geschäftsmodell: Ihr Partner ermittelt anhand eines von ihm entwickelten Algorithmus Selbstmordkandidaten, um sie dann gegen Prämie als Attentäter an eine Organisation zu vermitteln und auf diese Weise aber Opferzahlen gering zu halten. Nun geraten die Dinge außer Kontrolle. Britta und ihre Mitstreiter müssen abtauchen, eine extreme Situation, in der Britta aber wieder zu einer Haltung findet. Sie gewinnt die Kontrolle zurück und setzt ihre beste Kandidatin dafür ein, dass ein Putsch in Berlin verhindert wird. Die Demokratie retten zu lassen durch Gewalttäter, das erscheint ihr zu billig in einer Welt, in der den Menschen ihre Waschmaschine wichtiger ist als das Wahlrecht. - Eine Gesellschaftsutopie, nah an der Gegenwart angesiedelt, die dadurch auch im Wesentlichen eine Zeitdiagnose stellt. Dabei verbinden sich ein nüchterner, aber zielgenauer Erzählton, eine raffiniert ausgedachte Story und Figuren, die man beinah zu kennen glaubt, zu einem rasanten Geschehen. Doch einfach nur gespannt runterlesen - das funktioniert nicht, denn Juli Zeh leuchtet in moralische Grauzonen und konfrontiert den Leser mit Vorstellungen, die seine eigene Haltung herausfordern. Manches wirkt etwas überkonstruiert, doch schon wegen ihrer hellsichtigen Fortschreibung unseres Zeitgeistes in die Zukunft verzeiht man das der Autorin gern.
Gabie Hafner
rezensiert für den Sankt Michaelsbund.
Leere Herzen
Juli Zeh
Luchterhand (2017)
347 S.
fest geb.