Jarmy und Keila

Warschau 1911: Es ist eine untergegangene Welt, in der dieser dramatische Gesellschaftsroman im jiddischen Milieu spielt. Armut und Angst vor Pogromen prägen den Alltag der Menschen im seit 1815 von Russland okkupierten Polen. Anarchisten einerseits Jarmy und Keila und die allgegenwärtige Polizei andererseits machen das Leben zur Hölle. Amerika wird zum Land der Sehnsucht. Und wem es gelingt, eine Schiffspassage zu bezahlen, auf Pump gegen viele Jahre harter Arbeit im neuen Land, der gewinnt höchstens die Freiheit, überwindet aber kaum Not und Elend. Der Leser leidet mit und ist entsetzt über die soziale Not und die Sorge in den Familien und unter Liebenden. Jarmy und Keila kommen aus der Gosse, Keilas Karriere als Prostituierte begann schon im Alter von 12 Jahren. Und als sie später heiraten und man meint, jetzt sei alles gut, beginnt erst das schicksalshafte Drama in Shakespeareschem Ausmaß. - Isaac B. Singer erhielt als einziger jiddischer Schriftsteller 1978 den Nobelpreis für Literatur. "Jarmy und Keila" erschien 1976 in jiddischer Sprache, 1977 in einer amerikanischen Zeitung als Fortsetzungsroman und wurde dann vergessen. Es ist eine "schrecklich-schöne Welt", die Singer vor dem Vergessen rettet. Singer idealisiert die Juden nicht. Vielleicht unterblieb die Veröffentlichung dieses Romans bis heute, weil Singer nicht verschweigt, dass es auch unter den Juden Ganoven, Zuhälter und Verbrecher gab. Gerade in diesem von Kleinkriminellen beherrschten Milieu in den jüdischen Armenvierteln der polnischen Hauptstadt und genauso in den Außenbezirken New Yorks ist der mitreißende Roman angesiedelt. Dabei bleibt Singer nicht in der oberflächlichen Beschreibung der Milieus, sondern er konfrontiert den Leser mit hartem Sozialrealismus und mit der Auseinandersetzung über die Frage nach Gott, die einmündet in den einsamen Schrei: "Hier ist kein Gott". Das Ende ist offen. Eine nachdenklich machende Lektüre, zumal auch in unserer Welt nicht alles gut ist. (Übers.: Christa Krüger)

Armin Jetter

Armin Jetter

rezensiert für den Sankt Michaelsbund.

Jarmy und Keila

Jarmy und Keila

Isaac Bashevis Singer
Jüdischer Verl. im Suhrkamp-Verl. (2019)

463 S.
fest geb.

MedienNr.: 597820
ISBN 978-3-633-54296-3
9783633542963
ca. 26,00 € Preis ohne Gewähr
Systematik: SL
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