Ich möchte lieber nichts
„I would prefer not to“ / "Ich möchte lieber nicht“: Das ist das Mantra von Bartleby, dem Schreibgehilfen in Herman Melvilles Erzählung von 1853. John von Düffel hat dieses Thema jetzt aktuell und autobiografisch gewendet. In seinem Buch „Ich
möchte lieber nichts“ erzählt der Schriftsteller von der Wiederbegegnung mit einer schottischen Studienfreundin. 35 Jahre ist es her, dass er Fiona zuletzt gesehen hat. Er trifft sie in Edinburgh. Sofort beginnt ein Austausch, allerdings ein einseitiger. Es ist der Erzähler, der wissen will, was Fionas Haltung bedeutet: der konsequente Konsumverzicht. Geht das? Gibt es ein richtiges Leben ohne Genuss? Und macht Denken wirklich frei? Was ist aus Fionas Lebenstraum geworden, auf einem Stein zu sitzen und nachzudenken? Lupenreine und nebenwirkungsfreie Antworten bekommt der Besucher nicht. Aber er erkennt in Fiona eine äußerlich unscheinbare, innerlich beharrliche und messerscharf denkende Frau – jemand, dessen Leuchten große Schatten wirft. Davon wird ihm aber erst ganz am Ende erzählt, von Fionas Tochter, die nach Berlin gekommen ist und ihm kurzerhand die Bruchstellen der Lebensgeschichte ihrer Mutter mitteilt. – Eine sehr lohnende, immer auch selbstkritische Erzählung in Spaziergängen und Briefen: über ökonomische Grenzen, die Ängste vor Veränderung und die Chancen des Selbst-Denkens: „Unglück kauft. Glück konsumiert nicht“.
Michael Braun
rezensiert für den Borromäusverein.

Ich möchte lieber nichts
John von Düffel
DuMont (2024)
204 Seiten
fest geb.